Shardik
man nur mit mehreren schweren Pfeilen fertig werden. Wir haben keinen Bogen und dürfen nicht riskieren aufzufallen, indem wir versuchen, uns einen zu besorgen.«
»Wird der Bär nicht einfach, sobald das Feuer ausbricht, in die Felsenhöhle gehen?«
»Wenn er bei Einbruch der Nacht schon in der Halle ist, wird das Tor zwischen der Halle und der Höhle heruntergelassen, und er bleibt drin.«
»Mir mißfällt der Gedanke, ein Schwert gegen eine Frau zu gebrauchen – auch wenn es eine ortelganische Priesterin ist.«
»Mir auch, aber mein lieber Mollo, wir sind im Krieg. Du brauchst sie nicht unbedingt zu töten, sondern nur zu verhindern, daß sie Alarm schlägt.«
»Also angenommen, es gelingt mir. Das Dach brennt, es wird bald auf den Bären stürzen, du bist herabgeklettert und zu mir gekommen. Was tun wir dann?«
»Verschwinden wie Geister beim Hahnenschrei.«
»Aber wohin? Der einzige Zugang zur Unterstadt führt durch das Pfauentor. Wir können nicht entkommen.«
»Eigentlich haben wir eine ganz gute Chance. Santil riet mir, ich solle sie untersuchen, und das habe ich gestern nachmittag getan. Wie du weißt, führt die Stadtmauer nach Süden und umgibt den Crandor völlig; aber hoch oben bei der Südostecke gibt es eine unbenutzte Ausfallpforte in der Mauer. Santil erzählte mir, sie sei vor langer Zeit von einem König, wahrscheinlich für einen geheimen, privaten Zweck, eingebaut worden. Gestern ging ich, wie Santil vorschlug, hinauf und sah mir die Sache an. Alles war mit Unkraut und Brombeersträuchern überwuchert, aber die Pforte war nur von innen verriegelt. Ich glaube, die hat seit Jahren niemand berührt; ich ölte die Riegel und sorgte dafür, daß sie sich öffnen läßt. Sollte inzwischen jemand hingekommen sein und gesehen haben, was ich getan habe, so wäre das Pech, aber ich bezweifle es. Beim Rückweg hatte ich eine unangenehme Begegnung, als ich den sogenannten König und General Zelda traf, aber sie kehrten bald, nachdem ich an ihnen vorbeigekommen war, wieder um. Jedenfalls ist das unsere beste Chance, und wir können nichts Besseres tun, als sie wahrnehmen. Wenn wir, ohne erwischt zu werden, bis zu den oberen Hängen jenseits des Hakensees gelangen, können wir durch diese Pforte gehen und in zwei oder drei Tagen Santils Armee erreichen. Es wird kein Verfolger schneller sein als ich, das verspreche ich dir.«
»Es ist eine schlechte Chance. Das Ganze ist äußerst riskant. Und wenn man uns gefangennimmt – «
»Nun, wenn du lieber nicht mitmachen willst, mein lieber Mollo, so sag es mir bitte. Aber du hast doch erklärt, du würdest alles wagen, um ihnen zu schaden. Was mich anlangt, so habe ich mich nicht in den letzten Jahren vor Unheil bewahrt, um dann herzukommen und nichts zu wagen. Santil wünscht einen aufsehenerregenden Schlag – ich muß versuchen, ihn zu führen.«
»Angenommen, ich hätte die Frau getötet, könnten wir dann nicht einfach in der Menge untertauchen und vorgeben, von nichts zu wissen? Es könnte uns niemand identifizieren, und das Feuer könnte durch Zufall entstanden sein – vom Wind herangeweht.«
»Wenn es dir lieber ist, kannst du es gern versuchen, aber sie finden bestimmt heraus, daß das Feuer nicht zufällig entstanden ist – ich werde ja das Dach aufreißen müssen, damit es richtig Feuer fängt. Der Verdacht wird sicher auf mich fallen – glaubst du, auf dich nicht, nach dem Motiv, das dir heute gegeben wurde? Traust du dir zu, tagelang überzeugend der Verdächtigung und den Verhören standzuhalten? Außerdem werden die Ortelganer, wenn der Bär stirbt, völlig außer sich geraten. Sie sind durchaus imstande, jeden Delegierten in der Stadt zu foltern, um ein Geständnis zu erpressen. Nein, alles in allem ist mir, glaube ich, die Ausfallpforte lieber.«
»Vielleicht hast du recht. Nun, wenn wir Erfolg haben und es uns dann gelingt, zu Erketlis zu kommen – «
»Wirst du ihn gewiß, darüber bist du dir wohl klar, nicht undankbar finden. Du wirst viel, viel mehr erreichen, als du als Gouverneur von Kabin erzielt hättest.«
»Sicher, das glaube ich. Also, wenn ich nicht zum Feigling werde oder vor Einbruch der Nacht über etwas anderes stolpere, bin ich dein Mann. Zum Glück dauert es nicht mehr lange bis dahin.«
29. Das Feuerfest
Als sich die Dämmerung über die Terrassen des Leopardenhügels senkte, begann im Westen die schon den ganzen Nachmittag sichtbar gewesene Mondsichel in einem grünen, gelb gestreiften Himmel, in
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