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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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dessen letztem Licht die Fledermäuse flatterten, heller zu strahlen; sie schien gegen den Hintergrund, auf dem sie sich bewegte, so zerbrechlich und schlank, daß sie fast substanzlos war, bloß eine Welle der umgebenden Luft, auf die das Licht fiel, wie Wasser über einem überschwemmten Felsen Wellen bildet. Sie wirkte klein und einsam trotz der nahen Sterne, zart und fein wie ein Grünling im Frühjahr, aufreizend wie die Unschuld eines Kindes, das allein unter Gänseblümchen auf einer sommerlichen Wiese wandert. Darunter lag die Stadt in Stille und sternenerleuchtetem Dunkel, ruhiger als um Mitternacht, alle Feuer waren gelöscht, alle Stimmen schwiegen, nicht ein Licht, das schimmerte, nicht ein Mädchen, das sang, nicht eine Ramme, die brannte, nicht ein Bettler, der um Almosen jammerte. Es war die Stunde des Löschens. Die Straßen lagen verlassen, die sandigen, bei Tagesende glattgeharkten Plätze leer, gerippt und öde wie im Wind gefrorene Teiche. Einmal brach das Heulen eines Hundes in der Ferne jäh ab, als wäre er plötzlich geängstigt worden. Endlich wurde die Nacht im matten Mondschein so still, daß das Weinen eines Knaben in einer Baracke auf dem Sklavenmarkt bis zum Pfauentor hörbar war, wo eine einzelne Wache mit verschränkten Armen im Dunkel stand, der Speer lehnte hinter ihm an der Mauer. Über dieser erwartungsvollen Stille bewegte sich, lautlos wie die Frühlingsfelder vor der Stadt, die fahle Lichtsichel langsam weiter. Gleich einem, der zu einer dunklen Bestimmung reisen muß und nur weiß, daß sie seiner Jugend ein Ende setzen und sein Leben unvorhersehbar verändern wird.
    Hoch oben auf dem Schlangenturm stand Sheldra, zum Schutz gegen die Nachtluft in einen Mantel gehüllt, starrte nach Westen und wartete, bis das untere Ende der Mondsichel mit der Spitze des Brambaturmes gegenüber in eine Linie kam. Als es endlich soweit war, wurde die meilenweite Stille durch ihren langgezogenen, heulenden Schrei unterbrochen: »Shardik! Unseres Herrn Shardiks Feuer!« Gleich darauf sprang eine streifige, trübe Feuerzunge die zehn Meter des mit Pech bestrichenen, auf dem Palastdach aufgestellten Fichtenstammes empor und erschien unten in der Stadt als Feuersäule am südlichen Himmel. Von den Mauern, welche die obere von der Unterstadt trennten, wurde der Bereitschaftsruf der Priesterin beantwortet und wiederholt, als fünf ähnliche, doch kleinere Flammen hintereinander von den Dächern der in gleichem Abstand stehenden Wachttürme emporstiegen wie Schlangen aus ihren Körben auf die Pfeifentöne ihres Beschwörers. Dann folgten aus der Unterstadt in bestimmter Ordnung die verschiedenen Flammen der Tore und Türme – das Blaue Tor, das Lilientor, die großen Uhrentürme, der Sel-Dolad-Turm, der Waisenturm und der Blätterturm. Jede Flamme zischte so schnell, wie ein Turner am Seil hochklettert, in die Nacht empor, und die Baumstämme brannten in langen, lodernden Flammen, das Feuer an ihren Seiten wogte wie Wasser. So zeigten sie eine Weile allein die Länge und Breite der Stadt an, die auf der Ebene lag wie ein großes, unter dem steilen Abhang des Crandor verankertes Floß. Und während sie brannten und nur ihr Knistern die nach dem Verklingen der Rufe aus den Türmen wiedergekehrte Stille störte, begannen sich die Straßen mit immer mehr Menschen zu füllen, die aus ihren Häusern kamen; manche standen bloß im Dunkel wie die Wachen, andere nahmen langsam, aber zielbewußt ihren Weg zum Karawanenmarkt. Bald waren dort viele versammelt, alle schwiegen, alle warteten geduldig in dem von Flammen durchzogenen Dämmerlicht des untergehenden Mondes, das beinahe zu schwach war, als daß man seinen Nachbarn hätte erkennen können.
    Dann erschien weit entfernt, in der Richtung des Leopardenhügels, die Flamme einer einzelnen Fackel. Sie bewegte sich rasch, hüpfte auf und nieder, strich bergab über die Terrassen zum Hakensee, durch die Gärten und zum Pfauentor, das offenstand für den Läufer, der in die Straße der Waffenschmiede und von dort hinunter zum Markt und auf die ehrfurchtsvoll wartende Menge zukam. Wie viele waren dort versammelt? Hunderte, Tausende. Sehr viele Männer und auch einige Frauen, alles Haushaltsvorstände; Richter und Zivilbeamte, fremde Kaufleute, Warenkontrolleure, Baumeister und Zimmerleute, die angesehene Witwe neben der Tante vom Freudenhaus, grobhändige Schuster, Sattler und Weber, die Wirte der Herbergen für Wanderarbeiter, der Wirt des »Grünen Hains«, der

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