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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Herbergswächter der Provinzkuriere und viele, viele andere standen Schulter an Schulter schweigend dort; ihr einziges Licht war der ferne Schein der hohen Flammen, von denen sie aus ihren Häusern getrieben worden waren. Jeder trug eine nicht entzündete Fackel, die sollte als Gottesgeschenk den Segen des erneuerten Feuers holen. Der Läufer, ein junger Offizier von Ged-la-Dans Garde, der in Anerkennung seines tapferen Verhaltens in Lapan diese ehrenvolle Aufgabe erhalten hatte, trug seine an dem neuen Feuer auf dem Palastdach entzündete Fackel zum Sockel der Großen Waage, blieb schließlich dort stumm und lächelnd stehen, wartete ein wenig, um sich zu sammeln und sich seiner Wirkung zu vergewissern, dann hielt er die Flamme dem ihm am nächsten stehenden Bittsteller entgegen, einem alten, auf einen Stock gestützten Mann in geflicktem, grünem Mantel.
    »Gelobt sei das Feuer!« rief der Offizier mit über den Platz hallender Stimme.
    »Gelobt sei unser Herr Shardik!« antwortete der alte Mann bebend und entzündete dabei seine Fackel an der anderen.
    Nun trat eine gutaussehende Frau mittleren Alters vor, die in einer Hand ihre Fackel und in der anderen einen gelb gefärbten Stab trug, zum Zeichen, daß sie in Vertretung ihres Mannes kam, der an der Front war. Es gab viele solcher Frauen in der Menge.
    »Gelobt sei das Feuer!« rief der junge Offizier wieder, und »Gelobt sei unser Herr Shardik!« antwortete sie, ihm lächelnd ins Auge blickend, als wollte sie sagen: »Und gelobt seist du, prächtiger junger Mann!« Sie hielt ihre entzündete Fackel hoch und machte sich auf den Heimweg, während ein grober, schwerfällig gebauter Mann, der wie ein Viehtreiber gekleidet war, an ihre Stelle vor den Sockel trat.
    Es gab kein Drängen und kein Hasten, sondern es wurde eine Fackel nach der anderen ruhig und mit heiterer Feierlichkeit entzündet. Niemand durfte sprechen, ehe ihm das geschenkte Feuer zuteil geworden war. Nicht alle warteten ab, bis sie das Feuer von der Fackel selbst erhielten, die vom Palast gebracht worden war. Viele nahmen es ungeduldig von denen, die sich über den Platz entfernten, bis von allen Seiten die frohen Rufe »Gelobt sei das Feuer!« und »Gelobt sei unser Herr Shardik!« ertönten. Allmählich erstrahlte der Stadtplatz an immer mehr Stellen im Licht, das sich wie Funken an der Rückseite eines Herdes oder an der Oberfläche eines glimmenden Stammes ausbreitete. Bald strömten die lodernden, tanzenden Flammen in alle Richtungen durch die Straßen, gelöste Zungen plapperten wie Vögel beim ersten Tageslicht, und die neu entzündeten Lampen leuchteten der Reihe nach in den Fenstern wieder auf. Dann begannen auf den Dächern allenthalben in der Stadt kleinere Feuer zu brennen. Manche waren Pfosten wie die, die an den Toren und Türmen bereits angezündet worden waren, andere Becken mit Holz oder hellere Feuer von duftendem Gummi und mit Weihrauch bestreuter Kohle. Man begann zu schmausen und zu musizieren, in den Tavernen wurde getrunken, auf den Plätzen getanzt. Überall offenbarte das nächtliche Geschenk von Licht und Wärme die Macht über Kälte und Dunkelheit, die dem Menschen, und nur ihm allein, von Gott geschenkt wurde.
    Neben dem Hakensee, in der Oberstadt über dem Pfauentor, war ein anderer, ernsterer Bote mit seiner Fackel eingetroffen – kein anderer als General Zelda in voller Rüstung, auf der sich das rauchige Licht matt spiegelte, als er zu den ans Ufer schlagenden Wellen schritt. Auch hier warteten Bittsteller, aber weniger zahlreich und weniger inbrünstig, deren Gefühle durch jene Gleichgültigkeit und befangene Zurückhaltung verändert wurden, welche die Adeligen, Reichen oder Mächtigen kennzeichnet, wenn sie an volkstümlichen Bräuchen teilnehmen. Zeldas beschwörendes »Gelobt sei das Feuer!« wurde zwar mit erhobener Stimme, aber in förmlichem, gemessenem Ton gesprochen, während das antwortende »Gelobt sei unser Herr Shardik!«, obgleich aufrichtig hervorgebracht, den herzlichen Ton der Blumenmädchen und Marktträger in der Unterstadt vermissen ließ, mit dem zwei Stunden der Dunkelheit und des Schweigens durch die Worte beendet wurden, die eine der großen Lustbarkeiten des Jahres einleiteten.
    Auf der obersten Terrasse des Leopardenhügels stand erwartungsvoll, in Safrangelb und Scharlachrot gekleidet, Kelderek, umgeben von Shardiks Priesterinnen, und blickte auf die Stadt hinunter; die Fackeln verteilten sich durch die Straßen wie Wasser, das aus einer

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