Shardik
vielleicht bereits einen Marsch begonnen, der ihn bis in das Gebiet nördlich von Bekla führen wird.«
»Nicht nach Bekla?«
»Das hängt von der Unterstützung ab, die ihm zuteil wird. Anfänglich wird er wahrscheinlich keinen Angriff gegen Bekla versuchen, sondern nur nach Norden marschieren und abwarten, ob es Provinzen gibt, die sich für ihn erheben. Er könnte natürlich auf eine gute Gelegenheit stoßen, um eine ortelganische Armee zu besiegen, und in dem Fall würde er sich das nicht entgehen lassen.«
»Und welche Rolle spielst du dabei? Denn offenbar spielst du eine.«
»Nun, ehrlich gestanden, stelle ich die verächtliche Figur eines Geheimagenten dar.«
»Was du nicht sagst!«
»Ich könnte es jedenfalls zur gegebenen Zeit sein. Es läßt sich zum Beispiel denken, daß diese abergläubischen Kerle in höchste Verwirrung geraten würden, wenn gerade zu Beginn von Santils Angriff etwas wirklich Schlimmes vorfiele. Das glaubt jedenfalls Santil. Deshalb kam ich als Delegierter zur Ratssitzung.«
»Aber was hast du vor? Und wann?«
»Ich glaube, etwas Verwegenes wäre das richtige. Ich hatte an die Möglichkeit gedacht, den König oder einen der Generäle auszuschalten, aber ich glaube, das ist undurchführbar. Gestern nachmittag ließ ich mir, da ich unbewaffnet war, eine recht gute Chance entgehen, und ich bezweifle, daß sich noch eine andere bieten wird. Aber ich habe mir etwas überlegt. Die Zerstörung des Königlichen Hauses und der Tod des Bären selbst – das würde eine katastrophale Wirkung haben. Es könnte tatsächlich, wenn die Nachricht bei der Armee eintrifft, schwer ins Gewicht fallen.«
»Aber das ist undurchführbar, Elleroth. Das würde uns nie gelingen.«
»Mit deiner Hilfe vielleicht doch, glaube ich. Ich habe vor, das Dach über dem Haus des Königs in Brand zu stecken.«
»Aber das Haus ist doch aus Stein!«
»Die Dächer, mein lieber Mollo? Dächer sind aus Holz. Du kannst eine Halle von dieser Größe nicht mit Stein überdecken. Es muß Balken und Sparren geben, welche die Ziegel tragen. Sieh doch selbst: dort am anderen Ende ist sogar Dachstroh – du kannst es von hier aus sehen. Ein Feuer müßte da gute Arbeit leisten, wenn es nur ein wenig Zeit hätte, sich zu entwickeln.«
»Es würde sofort entdeckt werden – und übrigens wird das Haus bewacht sein. Wie willst du mit einer Fackel oder was du sonst brauchst auf das Dach klettern? Man würde dich aufhalten, bevor du auch nur in die Nähe kommst.«
»Ach, da eben wirst du so unschätzbar wertvoll sein. Hör zu. Zufällig findet heute abend das Frühjahrsfest der Sonnwendfeuer statt. Hast du es noch nie gesehen? Bei Einbruch der Nacht werden sämtliche Lichter in der Stadt gelöscht, bis völlige Dunkelheit herrscht. Dann wird das neue Feuer entzündet, und jeder Bewohner entzündet daran eine Fackel. Daraufhin gerät die ganze Stadt außer sich. Auf jedem erreichbaren Dach wird es ein loderndes Feuer oder zumindest eine brennende Fackel geben. Auf dem Hakensee findet eine Prozession statt, beleuchtete Boote, die aussehen wie feurige Drachen – sie spiegeln sich im Wasser, weißt du. Sehr hübsch. Und in der Stadt wird ein Fackelzug abgehalten – der Rauch steigt den Leuten in die Nase und blendet sie. Wenn überhaupt, wird heute abend ein Feuer auf dem Dach des Königlichen Hauses erst bemerkt werden, wenn es zu spät ist.«
»Aber sie lassen doch den Bären nicht unbewacht.«
»Natürlich nicht. Doch damit können wir fertig werden, wenn du so böse und rachedurstig bist, wie du sagst. Ich habe mir schon eine Stelle gemerkt, wo ich glaube, auf das Dach klettern zu können; und um sicherzugehen, habe ich mir für alle Fälle ein Seil und einen Enterhaken gekauft. Nach Einbruch der Dunkelheit zünden wir beide Fackeln an und begeben uns zum Fest – natürlich mit Waffen unter unseren Mänteln und ziemlich spät. Wir gehen zum Haus des Königs, und dort erledigen wir in aller Stille etwaige Wachen, die wir vorfinden. Dann klettere ich auf das Dach und stecke es in Brand. In der Halle wird höchstwahrscheinlich eine Priesterin zurückbleiben, um den Bären zu betreuen – vielleicht auch mehr als eine. Wenn die nicht zum Schweigen gebracht werden, bemerken sie das Feuer von unten. Du mußt also eindringen und wen immer du in der Halle vorfindest – beseitigen.«
»Warum gehen wir nicht einfach hinein und töten den Bären?«
»Hast du ihn schon mal gesehen? Er ist riesig, unglaublich groß. Mit dem könnte
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