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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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erkannte Kelderek, daß er geträumt hatte. Der Knabe ängstigt sich nicht länger mit der Einbildung, daß die Eichentruhe ein geducktes Tier sei, und sieht ein, daß das groteske Gesicht, das auf ihn herunterblickt, nur ein Linienmuster im Dachsparrenwerk ist; und sofort werden andere, richtige Proportionen klar, die nicht wirklich enthüllt, aber doch eine Konsequenz des hereingebrachten Lichtes sind. Die undeutlichen Töne draußen vor dem Fenster haben sich zwar nicht geändert, sind aber nicht, wie es vorhin erschien, ein leises, böses Gelächter, sondern deutlich das Quaken von Fröschen; und ebenso wandelt sich der Geruch von frisch gesägtem Holz, von Vieh im Stall oder trocknenden Häuten, der vor kurzem noch so bedrohlich, der schiere Geruch der Angst war, in seiner Wirkung, sobald er sich mit vertrauten Menschen und taghellen Dingen verbindet. Aber mit diesen Dingen kehren sehr bald die Schatten wieder, die sie werfen. Wird der Knabe gescholten werden, weil er aus Furcht schrie? Oder hat vielleicht jemand entdeckt, daß er gestern etwas Verbotenes getan hat? Er hat nur die eine Furcht gegen eine andere eingetauscht.
    In Keldereks erwachendem Bewußtsein schienen sich seine nebelhaften Gedankengänge um eine Achse zu drehen; Traum und Wirklichkeit kamen an ihren richtigen Platz, und er erkannte den wahren Aspekt und die Merkmale der Lage. Er wurde sich klar, daß er nicht zu Bel-ka-Trazet gerufen worden war – das war ein Traum –, und deshalb brauchte er gottlob nicht länger darüber nachzudenken, wie er sich am besten verteidigen sollte. Der quälende Schmerz in seinem Körper war sicher wirklich, aber nicht die Folge von Schlägen, die er von den Leuten des Großbarons erhalten hatte, sondern ein Ergebnis seines Kampfes mit dem Eindringling in der Halle. Er war schließlich nicht in Lebensgefahr, doch nun fiel ihm alles wieder ein, was er im Schlaf vergessen hatte – die Verwundung Shardiks, die brennende Halle, die auf den Steinen liegende Zilthe und seine eigenen Verletzungen. Wie lange hatte er geschlafen? Plötzlich wurde das schlaftrunkene, unkritische Fortschreiten seines Erwachens, wie eine Mauer an dem Punkt zusammenbricht, wo sie am wenigsten geschützt ist, durch das Bewußtwerden unterbrochen, daß er keine Ahnung hatte, was aus Shardik geworden war. Sofort rief er laut: »Shardik!«, schlug die Augen auf und versuchte aufzustehen.
    Es war Tag, und er lag in seinem eigenen Bett. Durch das Südfenster mit der Aussicht auf den Hakensee schien eine fahle Sonne. Es war offenbar eine oder zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Seine linke Hand war verbunden – seine Schulter auch, das spürte er, und der andere Oberschenkel. Er biß sich vor Schmerz auf die Lippe, setzte sich auf und stellte die Füße auf den Boden. In diesem Augenblick trat Sheldra ins Zimmer. »Herr – «
    »Shardik, was ist aus unserem Herrn Shardik geworden?«
    »General Zelda ist hier und will mit dir sprechen, Herr. Er ist in Eile, er sagt, es sei wichtig.«
    Sie lief hinaus, während er noch schwach rief: »Shardik! Shardik!« Sie kam mit Zelda zurück, der in Mantel und Stiefeln reisefertig aussah.
    »Shardik!« rief Kelderek und versuchte, sich zu erheben, taumelte jedoch zurück. »Ist er am Leben? Wird er am Leben bleiben?«
    »Wie der Herr, so der Knecht«, antwortete Zelda lächelnd. »Shardik lebt, aber die Wunde ist tief, und er braucht jetzt unbedingt Ruhe und Pflege.«
    »Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Heute ist der zweite Tag, seit du verwundet wurdest.«
    »Wir haben dir ein Betäubungsmittel gegeben, Herr«, sagte Sheldra. »Die Messerklinge war in deinem Oberschenkel abgebrochen, aber wir konnten sie herausziehen.«
    »Zilthe? Was geschah mit Zilthe?«
    »Sie lebt, aber ihr Gehirn ist beschädigt. Sie versucht zu sprechen, findet aber keine Worte. Es wird lange dauern, bis sie, falls überhaupt, wieder unserem Herrn Shardik dienen kann.«
    Kelderek stützte den Kopf auf seine Hände und dachte schmerzerfüllt an das quecksilbrige Mädchen, das ihn einmal irrtümlich für das Wild gehalten und ihm einen Pfeil zwischen Arm und Leib gejagt hatte; das Mädchen, das allein im schwindenden Mondlicht gestanden und gesehen hatte, wie Shardik auf der Gelter Straße den verräterischen Boten niederschlug.
    »Kelderek«, sagte Zelda, seine Gedanken unterbrechend, »du brauchst zweifellos Ruhe, aber du mußt mich doch anhören, denn die Zeit drängt, und ich muß fort. Es gibt Dinge zu erledigen, aber ich muß dir

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