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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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in der Halle verteilt sein – nicht mehr als zwei Delegierte dürfen nebeneinander sitzen. Alles übrige überlasse ich dir. Sheldra wird für unseren Herrn Shardik sorgen, du triffst morgen früh mit ihr zusammen und kümmerst dich darum, daß ihre Wünsche erfüllt werden. Wenn alles zu deiner Zufriedenheit bereit ist, soll sie hierherkommen und mich rufen.«
     

31. Die glühende Kohle
     
    Die Nacht war kalt, fast gab es Frost, und bald nach Mitternacht verbreitete sich ein weißlicher Nebel in der ganzen Unterstadt, der langsam höher kroch, schließlich die stillen Wasser des Hakensees bedeckte und sich um den Palast und die Oberstadt verdichtete, bis man von einem Gebäude nicht bis zum nächsten sehen konnte. Der Nebel dämpfte das Husten der Wachen und das Stampfen ihrer Füße, wenn sie sich erwärmen wollten – oder schlugen sie sich und stampften, um die dumpfe, einsame Stille zu durchbrechen, dachte Kelderek, der, in seinen Mantel gehüllt, im kalten Luftzug am Fenster seines Zimmers stand. Der Nebel zog in den Raum und erschwerte ihm das Atmen; seine Ärmel, sein Bart fühlten sich kalt und feucht an. Einmal hörte er das Flügelschlagen eines über dem Nebel schwebenden Schwanes; der rhythmische, ungehinderte Klang erinnerte ihn an den entlegenen Telthearna. Er entschwand in der Ferne, ergreifend wie das Pfeifen eines Hirtenjungen in den Ohren eines Gefangenen. Er dachte an Elleroth, der sicher ebenso wach war wie er, und fragte sich, ob auch er die Schwäne gehört habe. Wer waren seine Wächter? Hatten sie ihm erlaubt, eine Botschaft nach Sarkid zu schicken, seine Angelegenheiten zu ordnen, einen Freund zu bestimmen, der in seinem Namen handeln sollte? Hätte er selbst sich nicht danach erkundigen – mit Elleroth sprechen sollen? Er ging zur Tür und rief: »Sheldra!« Als niemand antwortete, ging er auf den Korridor und rief nochmals.
    »Ja, Herr!« antwortete das Mädchen schläfrig und kam nach einiger Zeit mit einem Licht zu ihm; ihre schlaftrunkenen Augen starrten ihn unter der Kapuze ihres Mantels an.
    »Hör mich an!« sagte er. »Ich gehe zu Elleroth. Du sollst – «
    Er sah den erschrockenen Blick der aus dem Schlaf Gerissenen. Sie trat einen Schritt zurück und hielt die Lampe höher. Er erkannte an ihrem Gesicht, daß er etwas Unmögliches gesagt hatte, ahnte das Kopfschütteln hinter seinem Rücken, die Vermutungen der Soldaten, die späteren Fragen Zeldas und Ged-la-Dans; die eisige Gleichgültigkeit Elleroths gegenüber der unangebrachten Fürsorge des ortelganischen Medizinmannes; das Entstehen und die Verbreitung einer auf Mißverständnis beruhenden Darstellung beim einfachen Volk.
    »Nein«, sagte er, »es spielt keine Rolle. Ich wollte das gar nicht sagen – es war der Rest eines Traums. Ich wollte dich fragen, ob du unseren Herrn Shardik seit Sonnenuntergang gesehen hast.«
    »Ich nicht, Herr, aber zwei von den Mädchen sind bei ihm. Soll ich hinuntergehen?«
    »Nein«, sagte er. »Nein, geh wieder zu Bett. Es ist nichts. Nur der Nebel, der mich beunruhigt – ich bildete mir ein, unserem Herrn Shardik sei etwas zugestoßen.«
    Sie blieb noch stehen, ihr stumpfes Gesicht zeigte ihre Verwirrung. Er wandte sich um, verließ sie und ging wieder in sein Zimmer. Die Flamme der Lampe verbreitete einen freudlosen Strahlenkranz auf dem in der Luft hängenden Nebel. Er streckte sich auf dem Bett aus und stützte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm.
    Er dachte an das viele vergossene Blut – an die Schlacht im Vorgebirge und die Schreie der Verwundeten, als die siegreichen Ortelganer sich bei Einbruch der Dunkelheit sammelten; an das Einschlagen des Tamarriktores und die darauffolgenden Stunden in Lärm und Rauch; an den Galgen auf dem Crandor und an die Schädel unten in der Halle. Es war Elleroth, einem Adeligen von fragloser Tapferkeit und Ehre, indem er all sein Streben der Aufgabe widmete, beinahe gelungen, den verwundeten Shardik zu verbrennen. Und bald, wenn er wie ein Schwein über eine Bank gelegt würde und das Blut aus seinem Hals spritzte, würden nur wenige der Anwesenden das Entsetzen und den Kummer fühlen, der für das Herz jedes Bauernkindes natürlich wäre.
    Er wurde in einer Vorahnung, so vage und unbestimmt, daß er sie sich nicht zu erklären vermochte, von einer seltsamen Befürchtung erfaßt. Nein, dachte er, es konnte sich dabei nicht um eine bloße Ahnung handeln. Die schlichte Wahrheit war, daß er, bei allem Abscheu gegen Elleroths Tat, für diese

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