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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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der Leopard von der Böschung auf ihn heruntersprang, und dachte: »Er hat solche Angst, daß ihm Sicht und Gehör benebelt sind. Er wußte aber, daß es so sein würde, und hat für diesen Augenblick geprobt.« Er dachte an den Anschlag, dessen Elleroth sich schuldig gemacht hatte, und bemühte sich, den Zorn und Haß wiederzufinden, der ihn in der Nacht des Feuerfestes erfüllt hatte; doch er spürte nur ein steigendes Gefühl von Grauen und Vorahnung, als wäre ein wackliger Turm aus übereinandergehäuften Übeltaten im Begriff zu kippen und umzufallen. Er schloß die Augen, fühlte aber sofort, daß er selbst schwankte, und öffnete die Augen wieder, als die Trommel verstummte, die Soldaten zur Seite traten und Elleroth hervorkam.
    Er war einfach, aber elegant im traditionellen Stil eines Adeligen aus Sarkid gekleidet – ganz ähnlich, wie er, nahm Kelderek an, gekleidet gewesen wäre, um seine Pächter daheim oder Freunde bei einem Abendessen zu bewirten. Sein safrangelb und weiß gefälteltes Veitron war aus neuem, mit Seide besticktem Tuch, und die geschlitzten Streifen seiner Kniehosen waren mit einem komplizierten Rautenmuster aus Silberfiligran bestickt, an dem zwei Frauen einen Monat lang gearbeitet haben mußten. Die lange Schmucknadel an seiner Schulter war auch aus Silber, ganz einfach, wie sie jeder wohlhabende Mann besitzen mochte. Kelderek fragte sich, ob sie ein Andenken von einem Kameraden aus den Sklavenkriegen war – vielleicht von Mollo selbst? Er trug keine Juwelen, keine Halskette, Armband oder Ring; als er aber nun zwischen den Soldaten vortrat, zog er aus seinem Ärmel einen Goldanhänger mit Kette, die er über den Kopf streifte und sich um den Hals legte. Als man den Anhänger erkannte, ging ein Murmeln durch die Zuschauer; er stellte einen mit erhobenem Kopf hegenden Hirsch dar, das persönliche Emblem von Santil-ke-Erketlis und seiner Begleitung.
    Elleroth trat zu der Bank und bückte auf die darauf liegenden Gegenstände. Die zunächst Stehenden sahen, wie er sich gegen ein kurzes Erschauern wehrte. Dann bückte er sich und befühlte mit einem Finger die Schneide der Klinge. Als er sich aufrichtete, begegnete sein Blick dem des Scharfrichters mit einem gespannten, gezwungenen Lächeln, und er sprach zum erstenmal:
    »Zweifellos verstehst du, dieses Ding zu gebrauchen, sonst wärst du nicht hier. Ich werde dir keine Schwierigkeiten bereiten, und ich hoffe, du mir auch nicht.«
    Der Mann nickte verlegen, sichtlich wußte er nicht, ob er antworten sollte. Als Elleroth ihm aber einen kleinen Lederbeutel reichte und murmelte: »Verteilt das unter euch«, zog er die Schnüre auf und sah hinein, riß die Augen auf und stammelte seinen Dank in so banalen und unpassenden Worten, daß es anstößig und zugleich gruselig wirkte. Elleroth hieß ihn mit einer Geste schweigen, trat Kelderek gegenüber und neigte den Kopf mit einer kalten Andeutung einer förmlichen Begrüßung.
    Kelderek hatte dem Gouverneur bereits Weisung erteilt, daß ein Herold das von Elleroth und Mollo begangene Verbrechen beschreiben und zum Schluß das Todesurteil verkünden solle. Als das nun geschah, kam es zu keiner Unterbrechung, die einzigen Töne, die außer der Stimme des Herolds zu vernehmen waren, waren das gelegentliche Brummen des Bären und dessen heftige, krampfartige Bewegungen auf dem trockenen Stroh. »Er hat noch Fieber«, dachte Kelderek. »Das Durcheinander und die Menge haben ihn aufgeregt und werden seine Genesung verzögern.« Sooft er hinsah, begegnete er dem kalten, verächtlichen Blick des Verurteilten, dessen eine Gesichtshälfte im Schatten des vom Kohlenbecken ausgehenden Lichtscheins lag. Die Gleichgültigkeit dieses Mannes, ob sie nun angenommen oder echt war, konnte er nicht mit seinem Blick aus der Fassung bringen; schließlich senkte er den Kopf und heuchelte Zerstreutheit, als der Herold das brennende Dach, die Verwundung Shardiks und seinen rasenden Angriff auf Mollo in der Halle beschrieb. Ein Geflüster von Prophezeiungen schien ihn zu umgeben, das immer wieder aussetzte und nicht faßbar war, so wenig wie die bitterkalte Zugluft aus dem Wandelgang und die dünnen Nebelstreifen, die spinnwebartig über die Mauern zogen.
    Endlich verstummte der Herold, und es entstand Stille. Sheldra berührte seine Hand; er faßte sich und sprach zu Elleroth in mangelhaftem Beklanisch die Worte, die er vorbereitet hatte.
    »Elleroth, vormals Statthalter von Sarkid, du hast die Schilderung deines

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