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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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hören. Ein seitlich über ihm schwebender Bussard stieß seinen rauhen Schrei, eine Art Miauen, aus und verschwand. Eine Brise rauschte durch die Blätter und legte sich wieder. Schließlich wurde das Wasserrauschen zum einzigen Ton in der Stille – das und der immer noch vernehmbare Lärm aus der Stadt. Wo war Shardik? Weit konnte er nicht sein, denn er war ja in der Mauerkurve gefangen. Entweder er war schon auf der anderen Seite des Kammes und wanderte westwärts zum Roten Tor, oder er hatte sich, was wohl wahrscheinlicher war, zwischen die Bäume geflüchtet. Wenn er jetzt dort war, konnte er sich schwerlich entfernen, ohne gehört zu werden. Es blieb nichts übrig, als zu warten. Früher oder später würde einer der suchenden Soldaten in Hörweite kommen und konnte mit einer Botschaft zurückgeschickt werden.
    Plötzlich ertönten von den obenstehenden Bäumen Geräusche von splitterndem Holz und das Knirschen und Aufschlagen fallender Steine. Kelderek fuhr hoch. Während er lauschte, erklang der gleiche Schrei, den er nachts in den Zypressengärten gehört hatte – ein lautes, schmerzliches Knurren, das nur von Shardik stammen konnte. Daraufhin stolperte er, zitternd vor Angst und wie in Trance, über den Weg hinauf, den der Bär bereits durch die Büsche und Schlingpflanzen gebahnt hatte, und lugte zwischen die Bäume in das Halbdunkel.
    Das Gehölz war leer. Am Ostende, wo die Bäume und Büsche bis nahe an die glatte Mauer heran wuchsen, gab es eine zackige, unregelmäßige, vom Tageslicht erhellte Öffnung. Er näherte sich vorsichtig und sah zu seiner Überraschung, daß es ein aufgebrochener Durchgang war. Zu beiden Seiten waren mehrere Steine aus der Einfassung gerissen worden und lagen umher. Die schwere Holztür, die nach außen aufging, war wohl von jemandem, der hindurchgegangen war, offengelassen worden, denn es schien keine Klinke vorhanden zu sein, und die Riegel waren offen. Die obere Angel war aus der Einfassung gerissen worden, und die zersplitterte Tür hing herunter, ihre untere Ecke steckte draußen in der Erde. Der steinerne Torbogen war beschädigt, aber noch an seinem Platz, doch die abwärts gerichtete Spitze in der Mitte war mit Blut bedeckt, wie eine aus einer Wunde gezogene Waffe.
    Auf der Innenseite des Durchgangs, an der Stelle, wo ein Mann gestanden haben mochte, als er die Riegel öffnete, erbückte Kelderek etwas Glänzendes, das halb in den Boden getreten war. Er bückte sich und hob es auf. Es war das goldene Hirschemblem von Santil-ke-Erketlis, der noch immer an der feinen, gerissenen Kette befestigte Anhänger.
    Er trat durch den Türbogen. Unter ihm stieg der Nebel von der großen beklanischen Ebene hoch – ein verwildertes, ungepflegtes Land mit vereinzelten Rauchfahnen über den Dörfern –, die sich südwärts bis Lapan, ostwärts bis Toniida und nordwärts bis Kabin und zu den Gelter Bergen erstreckte. Anderthalb Kilometer entfernt, am Fuß des Abhangs, deutlich sichtbar in der klaren Luft, verlief die Karawanenstraße von Bekla nach Ikat. Shardik, dessen Rücken und Schultern von der nun wieder durch die Torbogenspitze aufgerissenen Wunde blutig waren, stieg sechzig Meter unter Kelderek über den Berghang hinunter.
    Kelderek folgte ihm wieder vorsichtig. Als er über die Felsen vorwärts tastete, merkte er bald, wie unfähig er für ein solches längeres oder anstrengendes Unternehmen war. Mollo hatte ihn, bevor er starb, an mehreren Stellen gestochen oder geschnitten, und diese halbgeheilten Wunden, die noch erträglich waren, solange er zu Hause geblieben war, begannen nun zu pulsieren und heftig stechende Schmerzen durch seine Muskeln zu jagen. Er stolperte mehrmals und verlor beinahe das Gleichgewicht. Aber sogar wenn seine unsicheren Füße Steine loslösten, die lärmend über den Hang nach unten kollerten, blickte Shardik kein einziges Mal hinauf oder schenkte ihm irgendwelche Aufmerksamkeit, sondern setzte seinen Weg, als er den Fuß des Crandor erreicht hatte, in der gleichen Richtung fort. Aus Angst vor Räubern war der Busch zu beiden Seiten der Karawanenstraße fast auf Bogenschußweite grob gestutzt worden. Der Bär überquerte ohne Zögern diese freie Stelle und betrat dann die Wildnis des Flachlands.
    Kelderek kam zur Straße, blieb stehen und blickte auf den Osthang zurück, über den er nach unten gekommen war. Es wunderte ihn, daß er, obwohl so viele Leute diese Straße benutzten, noch nie von der Ausfallpforte am Ostkamm gehört hatte. Nun sah

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