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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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sofort auf den Weg ins Flachland. Er meinte, er habe sich schon zu lange aufgehalten und werde Shardik nicht leicht wiederfinden. Doch dachte er unbewußt an die Geländebedingungen des Waldes, in dem er sein Handwerk gelernt hatte, und vergaß, daß dieses Land völlig anders beschaffen war. Er erblickte den Bären nach kurzer Zeit, etwa einen Kilometer weit nordöstlich, wie er mit dem regelmäßigen Gang eines Fußreisenden auf der Straße wanderte. Abgesehen von den Hütten eines in der Ferne rechts liegenden Dorfes war die Ebene, so weit das Auge reichte, leer.
    Kelderek zweifelte keinen Augenblick, daß er die Verfolgung fortsetzen mußte. Bei Shardik lag Ortelgas ganze Macht. Wenn man ihn allein und unversorgt wandern ließe, würde es in den Augen der Bauern – von denen viele wahrscheinlich insgeheim ihren ortelganischen Beherrschern noch feindlich gesinnt waren – klar sein, daß da etwas nicht stimmte. Die Berichte über seinen Aufenthalt mochten gefälscht oder verheimlicht werden. Man konnte ihn wieder verwunden oder vielleicht sogar im Schlaf töten. Es war vor fünf Jahren schwer genug gewesen, nach Beklas Fall und Santil-ke-Erketlis’ Rückzug seine Spur wiederzufinden. Es würde trotz der eigenen Schmerzen und Müdigkeit und der mit der Verfolgung verbundenen Gefahr auf lange Sicht leichter sein, jetzt auf seiner Spur zu bleiben. Außerdem war Kavass verläßlich, und der Suchtrupp würde beide unfehlbar noch vor Einbruch der Nacht finden. So schwach er auch war, das sollte er doch noch bewältigen können.
     

33. Das Dorf
     
    Den ganzen Tag, während die Sonne in seinem Rücken über den Himmel wanderte, folgte Kelderek dem mühsam dahintrottenden Shardik. Das Marschtempo des Bären änderte sich kaum. Manchmal verfiel er in einen schwerfälligen Trab, aber bald stockte er und warf wiederholt den Kopf hoch, wie um sich von einem quälenden Schmerz zu befreien. Obwohl die Wunde zwischen seinen Schultern nicht mehr blutete, war es aus seinem unruhigen, stolpernden Gang und erkennbaren Unbehagen ersichtlich, daß sie ihn quälte. Oft erhob er sich auf die Hinterbeine und blickte auf die Ebene hinaus; und Kelderek, dem in dem freien Gelände ohne Deckung unheimlich zumute war, blieb entweder still stehen oder sank schnell auf die Knie und duckte sich. Es war aber wenigstens leicht, Shardik aus der Entfernung im Auge zu behalten; und Kelderek wanderte viele Stunden lautlos über Gras und Buschwerk, wobei er sich in Bogenschußweite und bereithielt zu laufen, falls der Bär kehrtmachen und auf ihn losgehen sollte. Shardik schien jedoch nicht zu merken, daß er verfolgt wurde. Einmal kam er zu einem Teich und hielt an, um zu trinken und sich im Wasser zu wälzen; und einmal legte er sich für eine Weile in einen Hain aus Myrthenbüschen, die als Landmarke rund um einen der einsamen Brunnen gepflanzt worden waren, welche vor undenklichen Zeiten von wandernden Hirten benutzt wurden. Doch beide Aufenthalte endeten, als er plötzlich hochschreckte und, als wolle er keine Zeit mehr verlieren, sich neuerdings auf den Weg quer durch die Ebene machte.
    Ein paarmal kamen sie in Sichtweite von grasendem Vieh. Obwohl sie weit genug entfernt waren, konnte Kelderek erkennen, wie alle Tiere kehrtmachten, die Köpfe hoben und unruhig und mißtrauisch auf das herankommende unbekannte Geschöpf blickten. Er hoffte auf die Möglichkeit, einen der Hirten anzurufen und ihm eine Botschaft mitzugeben, aber Shardik ging jedesmal in großer Entfernung an den Herden vorbei, und Kelderek beschloß, eine bessere Gelegenheit abzuwarten.
    Am Spätnachmittag erkannte er am Sonnenstand, daß Shardik nicht mehr nach Nordwest, sondern nach Norden wanderte. Sie waren weit in die Ebene hinaus gegangen – wie weit, wußte er nicht –, vielleicht fünfzehn Kilometer östlich von der Straße, die von Bekla zu den Gelter Vorbergen führte. Der Bär ließ durch kein Zeichen erkennen, daß er anhalten oder umkehren wolle. Kelderek hatte gemeint, er werde wandern, bis er Nahrung fände, und dann schlafen; einen so andauernden Marsch ohne Freß- oder Ruhepause hatte er bei einem vor kurzem verwundeten und vorher so lange eingeschlossen gewesenen Geschöpf nicht erwartet. Nun wurde ihm klar, daß Shardik von der überwältigenden Entschlossenheit getrieben wurde, aus Bekla zu entkommen – sich durch nichts aufhalten zu lassen, bis er es weit genug hinter sich gelassen hatte, und auf seinem Weg allen menschlichen Behausungen auszuweichen.

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