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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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daß er ihn gehört hatte. Kelderek zog die Schultern hoch, griff nach dem Ranzen und setzte sich, um zu essen.
    Das Brot war hart und das Obst völlig ausgetrocknet. Als er alles verzehrt hatte, war er durstig. Es gab kein Wasser – außer vielleicht einen Teich oder eine Quelle in einer der drei Schluchten, aber er war zu müde, um alle drei zu durchsuchen. Er beschloß, einen Blick in die nächstgelegene zu werfen – daß Shardik wach wäre oder ihn angreifen würde, war unwahrscheinlich –, und wenn er kein Wasser sehen oder hören könnte, würde er bis nach seinem Schlaf ohne Getränk auskommen.
    Das mit den Gewächsen verflochtene Gras reichte ihm fast bis zur Taille. Im Sommer mußte das ein beinahe unpassierbarer Ort sein, dachte er, ein wahres Dickicht. Er war nur wenige Meter weit gekommen, als er über etwas Hartes stolperte, sich bückte und es aufhob. Es war verrostetes, schon beinahe in Stücke zerfallenes Schwert, dessen Griff mit Blumen- und Blattmustern aus längst geschwärztem Silber eingelegt war – das Schwert eines Adeligen. Er schlug es, verwundert, wie es dorthin gekommen sein mochte, ohne bestimmtes Ziel auf das Gras, und dabei zerbrach die Klinge wie eine alte Kruste und flog in die Nesseln. Er warf den Griff hinterher und wandte sich um.
    Aus der Nähe gesehen, wirkte der Schluchtrand sogar noch schärfer und steiler als aus der Entfernung. Tatsächlich hatte der Ort, so unbebaut und unergiebig inmitten der fruchtbaren Umgebung, etwas Unheimliches. Es lag auch etwas Merkwürdiges in dem Rauschen der Brise in den Blättern – ein tiefes Seufzen mit Unterbrechungen, wie vom Winterwind in einem riesigen Kamin, dabei leise, als wäre es weit entfernt. Und nun schien es seiner nach Schlaf lechzenden Phantasie, als klafften die Seitenwände der Schlucht wie eine offene, tiefe Wunde. Er trat zum Rand und blickte darüber.
    Unter ihm breiteten sich die Kronen der niedrigeren Bäume aus. Insekten summten und huschten umher, und die Blätter schimmerten. Zwei große Schmetterlinge, nach dem Winter neu erwacht, fächelten mit ihren blutroten Flügeln einen Meter weit unter seinen Augen. Langsam wanderte sein Blick über die unebene Laubfläche und zurück zu dem steilen Hang zu seinen Füßen. Der Wind blies, die Äste bewegten sich, und plötzlich – wie ein Mann, der merkt, daß der lächelnde Fremde, der mit ihm plauderte, in Wahrheit ein Irrsinniger ist, der ihn angreifen und ermorden will – schreckte Kelderek zurück und klammerte sich ängstlich an den Büschen fest.
    Unter den Bäumen gab es nichts als Finsternis – das Dunkel einer Höhle, ein Dunkel voll stagnierender Luft und leiser, dumpfer Geräusche. Jenseits der untersten Baumstämme entschwand der nackte und steinige Boden im Dämmerlicht und dann in Schwärze. Die Töne, die er hören konnte, waren Widerhall, wie in einem Schacht, jedoch beim Hochsteigen aus einer größeren, unvorstellbaren Tiefe verstärkt. Die kalte Luft an seinem Gesicht hatte einen schwachen, gräßlichen Geruch – nicht nach Verwesung, sondern eher nach einem Ort, der niemals Leben oder Tod gekannt hat, ein bodenloser Abgrund, seit Anbeginn der Zeiten ohne Licht und ohne Besucher. Fasziniert von Entsetzen, das sich auf seinen Magen schlug, tastete er hinter sich nach einem Stein und schleuderte ihn hinunter zwischen die Äste. Dabei kam ihm eine vage Erinnerung zu Bewußtsein – Nacht, Furcht und der Überbringer eines unbekannten Schicksals im Dunkel; aber seine augenblickliche Angst war zu heftig, und die Erinnerung verließ ihn wie ein Traum. Der Stein fiel durch die Blätter, schlug gegen einen Ast und war fort. Kein Ton mehr. Weicher Boden – tote Blätter? Er warf noch einen, zielte weit hinaus in die Mitte der konkaven Blätterwand. Ein Aufschlag war nicht zu hören.
    Shardik – wo war er? Keldereks Hände schwitzten, seine Fußsohlen kribbelten, er lag entsetzt vor der Schlucht und starrte ins Dunkel nach einem winzigen Zeichen eines vorstehenden Randes oder Simses. Es gab keines.
    Plötzlich schrie er, halb verzweifelt, halb betend, laut aus: »Shardik! Shardik!« Da schien es, als ob alle bösen Geister und nachtwandelnden Phantome in dieser Finsternis sich nach oben auf ihn stürzten. Ihre furchtbaren Schreie waren kein Widerhall mehr, sie waren nicht durch seine Stimme entstanden. Es waren Fieber-, Irrsinns-, Höllenstimmen. Tief und zugleich unerträglich schrill, weit entfernt und in seine Gehörnerven kreischend, an seine Augen

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