Shardik
konnte. In Zeray gibt es keinen Markt, keinen Priester, keinen Bäcker und keinen Schuhmacher. Die Menschen fangen Krähen und züchten sie als Nahrung. Als ich kam, gab es keinen Handel. Auch jetzt noch ist er denkbar gering, ich werde dir das schildern. Wenn jemand nachts schreit, kümmert sich keiner darum, und was man besitzt, trägt man bei sich und legt es nie fort.«
»Aber dieses Haus? Du hast Speisen und Wein; und die Tuginda liegt, gottlob, in einem bequemen Bett.«
»Die Türen und Fenster sind kräftig vergittert – hast du das bemerkt? Aber es stimmt, du hast recht. Hier haben wir ein wenig Bequemlichkeit; für wie lange, ist eine andere Frage, wie du verstehen wirst, wenn ich mit meiner Erzählung zu Ende bin.«
Sie goß heißes Wasser in Keldereks Fußschüssel nach, trank von ihrem Wein und schwieg eine Weile, beugte sich zum Feuer nieder und streckte ihre schönen Arme und den Körper dahin und dorthin, als bade sie in der Wärme und dem Licht der Flammen. Endlich sprach sie weiter.
»Angeblich freut es die Frauen, wenn sie begehrt werden; mag sein, daß es für manche zutrifft – anderswo. Ich habe geschrien vor Angst, während zwei Männer, die ich haßte, mit Messern kämpften, um zu entscheiden, welcher von ihnen mich bekommen sollte. Ich wurde von dem Mann, der meinen Bettgenossen nachts im Schlaf ermordet hatte, aus einer brennenden Hütte geschleppt. In kaum drei Monaten gehörte ich fünf Männern, von denen zwei ermordet wurden; der dritte verließ Zeray, nachdem er versucht hatte, mich zu erstechen. Wie alle, die fortgehen, tat er das nicht, weil er anderswohin ziehen wollte, sondern weil er Angst hatte hierzubleiben.
Ich rühme mich nicht, Kelderek, glaube mir. Das sind keine Dinge, deren man sich rühmt. Mein Leben war ein Alptraum. Es gab keinen Zufluchtsort – ich konnte mich nirgends verstecken. Es gab, alles in allem, keine vierzig Frauen in Zeray – alte Hexen, Schlampen, Mädchen, die in Angst lebten, weil sie von einem gemeinen Verbrechen zuviel wußten. Und ich kam hierher als jungfräuliche Priesterin aus Quiso, noch nicht einundzwanzig Jahre alt.« Sie machte eine kurze Pause, dann sagte sie: »Als wir früher in Quiso Brambas fischten, verwendeten wir lebendigen Köder. Gott verzeihe mir, das könnte ich nie wieder tun. Einmal wollte ich mein Gesicht im Feuer verbrennen, doch ich fand dafür ebenso wenig Mut, wie ich für die Begegnung mit unserem Herrn Shardik hatte.
Eines Nachts war ich mit einem Mann namens Glabron zusammen, einem Tonildaner, der sogar in Zeray gefürchtet war. Wenn es einem Mann gelang, die Leute genug einzuschüchtern, sammelte sich eine Bande um ihn, die mordete und raubte, die sich den Bauch vollschlug, um ein wenig länger am Leben zu bleiben. Sie verscheuchten andere von den Fischgründen, lauerten Neuankömmlingen auf und dergleichen mehr. Manchmal überfielen sie Dörfer außerhalb von Zeray, obwohl sie gewöhnlich wenig genug für ihre Mühe ergatterten. Hier gibt es nur sehr wenig zu stehlen. Die Männer kämpften und raubten für den bloßen Lebensunterhalt. Wenn ein Mann nicht kämpfen oder stehlen konnte, betrug seine Lebenserwartung vielleicht drei Monate. Drei Jahre ist eine gute Lebenszeit für die widerstandsfähigsten Männer in Zeray.
Es gibt da eine Art Kneipe beim Ufer auf dieser Seite der Stadt. Sie heißt ›Der Grüne Hain‹ – nach einem Lokal in Ikat, glaube ich, oder ist es Bekla?«
»Bekla.«
»Ikat oder Bekla – ich habe noch nie gehört, daß die Männer dort von den Getränken blind wurden oder daß der Wirt Ratten und Eidechsen als Speise verkaufte. Glabron erpreßte einen schäbigen Hungerlohn dafür, daß er das Lokal nicht zerschlug und es vor anderen seinesgleichen schützte. Er war eitel – ja, in Zeray war er eitel – und wollte die Freude nicht missen, daß andere ihn beneideten, daß sie ihn essen sahen, wenn sie hungrig waren, und hörten, wie er die Männer beschimpfte, die sie fürchteten; ja, und er mußte ihre Begierde anfachen mit dem Anblick der Frau, die er für sich behielt. ›Du hast mich schon zu oft dorthin mitgenommen‹, sagte ich ihm. ›Um Gottes willen, genügt es denn nicht, daß ich dein Eigentum bin und daß Keriols Leiche den Telthearna stromabwärts schwimmt? Welches Vergnügen macht es, hungrigen Hunden mit einem Knochen zu winken?‹ Glabron diskutierte mit niemandem, am wenigsten mit mir. Ich war nicht zum Sprechen da, und er selbst war ungefähr so gesprächig wie ein
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