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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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sprach, von seiner panischen Flucht und dem Sturz von der Anhöhe, zitterte er und hielt sich an dem Tisch fest, um nicht zu stürzen. Eine der Lampen war leergebrannt, aber die Priesterin machte keine Bewegung, und der Docht rauchte weiter, bis er erloschen war.
    »Und dann«, sagte der Jäger, »dann stand er dort über mir, wo ich lag, Saiyett, ein Bär – ein Bär, wie es noch keinen gab, ein Bär, so groß wie eine Wohnhütte; sein Fell war wie ein Wasserfall, die Schnauze wie ein Keil gegen den Himmel erhoben. Der Leopard war wie Eisen auf seinem Amboß. Eisen – nein, ach, glaubt mir! – als der Bär ihn schlug, wurde er wie ein Stück Holz, auf das die Axt fällt. Er wirbelte durch die Luft und fiel zu Boden wie ein durchbohrter Vogel. Es war der Bär – der Bär, der mich rettete. Er schlug einmal zu, dann war er fort.«
    Der Jäger brach ab und trat langsam zum Feuer vor.
    »Er war kein Traumbild, Saiyett, keine Ausgeburt meiner Angst. Er ist aus Fleisch und Blut – er ist wirklich. Ich sah die verbrannten Stellen an seiner Weiche – ich sah, daß sie ihn schmerzten. Ein Bär, Saiyett, auf Ortelga – ein Bär, doppelt so groß wie ein Mensch!« Er zögerte, dann fügte er fast unhörbar hinzu: »Wenn Gott ein Bär wäre – «
    Die Priesterin hielt den Atem an. Der Baron erhob sich, und die Bank kippte rückwärts gegen den Tisch, als seine Hand die leere Scheide umfaßte.
    »Das mußt du genauer erklären«, sagte die Tuginda in ruhigem, sachlichem Ton. »Was meinst du damit und was glaubst du von dem Bären?«
    Der Jäger kam sich vor wie ein Mann, der endlich eine schwere, kilometerweit in Dunkel und Einsamkeit getragene Last an dem Ort absetzt, wo sie hingehört. Noch stärker aber verspürte er wieder die Ungläubigkeit, die ihn noch am Morgen an der einsamen Küste stromaufwärts auf Ortelga erfüllt hatte. Wie war es möglich, daß dies die bestimmte Zeit, hier der Ort und er selbst der Mann war? Und doch war es so. Es konnte nicht anders sein. Seine Augen begegneten dem scharfsichtigen, gespannten Blick der Tuginda.
    »Saiyett«, antwortete er, »es ist Shardik, unser Herr.«
    Es herrschte Totenstille. Dann erwiderte die Tuginda behutsam: »Du begreifst wohl, daß es unrecht wäre, frevlerisch und furchtbar, wenn du hier irrtest – wenn du dich und andere täuschtest? Einen Bären kann jeder sehen. Wenn das, was du gesehen hast, o Jäger, der mit Kindern spielt, ein Bär war, dann sag es um Gottes willen jetzt und kehre unversehrt und in Frieden heim!«
    »Saiyett, ich bin nur ein gewöhnlicher Mann. Du bist es, die meinen Bericht prüfen muß, nicht ich. Doch so sicher ich lebe, so sicher bin ich auch, daß der Bär, der mich gerettet hat, niemand anders war als Shardik, unser Herr.«
    »Dann«, antwortete die Tuginda, »ob es sich nun erweist, daß du recht oder unrecht hast, ist klar, was wir zu tun haben.«
    Die Priesterin stand mit ausgestreckten Handflächen und geschlossenen Augen und betete stumm. Der Baron schritt mit gerunzelter Stirn langsam zur gegenüberliegenden Wand, drehte sich um und ging, den Blick auf den Boden gerichtet, zurück. Als er zu der Tuginda kam, legte sie die Hand auf sein Handgelenk, und er blieb stehen und blickte sie aus einem halb geschlossenen und einem starrenden Auge an. Sie lächelte ihm zu; für die ganze Welt sollte es scheinen, als gäbe es vor ihnen keine andere als diese sichere und angenehme Aussicht.
    »Ich will dir etwas erzählen«, sagte sie. »Es war einmal ein weiser, verschlagener Baron, der gelobte, Ortelga und sein Volk zu schützen und alles fernzuhalten, was sie schädigen konnte: er ließ Fallen stellen und Gruben ausheben. Er bemerkte Feinde, fast noch ehe sie ihre eigenen Absichten kannten, und erzog sich dazu, selbst den Eidechsen an den Mauern zu mißtrauen. Um sicherzugehen, daß er nicht getäuscht wurde, traute er keinem; und er hatte recht. Ein Herrscher muß, wie ein Kaufmann, voller Verschlagenheit sein, darf nur der Hälfte dessen, was er hört, Glauben schenken, sonst geht er zugrunde.
    Hier aber ist die Aufgabe schwieriger. Der Jäger sagt: ›Es ist Shardik, unser Herr‹, und der Herrscher, der gelernt hat, skeptisch und kein Narr zu sein, antwortet: ›Unsinn!‹ Und doch wissen wir alle, daß Shardik, unser Herr, eines Tages wiederkommen wird. Angenommen, dieser Tag wäre heute, und der Herrscher wäre im Irrtum – was für ein Irrtum wäre das! Die ganze geduldige Arbeit seines Lebens könnte ihn nicht

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