Shardik
wiedergutmachen.«
Bel-ka-Trazet schwieg.
»Wir dürfen nicht riskieren, uns zu irren. Nichts zu tun könnte der größte Frevel sein. Es gibt nur eines, was wir tun können. Wir müssen herausfinden, ob diese Nachricht wahr oder falsch ist; und wenn es unser Leben kostet, Gottes Wille muß geschehen. Es gibt schließlich andere Barone, und die Tuginda stirbt nicht.«
»Du sprichst gelassen, Saiyett«, erwiderte der Baron, »wie über die Tendriona-Ernte oder über den kommenden Regen. Aber wie kann es wahr sein – «
»Du lebst schon viele Jahre, Baron, und es war deine Arbeit, heute den Todesgürtel zu verstärken und morgen die Steuern einzutreiben. Und ich – auch ich habe lange Jahre bei meiner Arbeit verbracht – lebte mit den Prophezeiungen Shardiks und mit den Riten auf den Terrassen. Oftmals habe ich mir vorgestellt, daß die Nachricht kommt, und überlegt, was ich tun sollte, wenn sie tatsächlich käme. Deshalb kann ich dir jetzt sagen: ›Möglich, daß der Bericht dieses Jägers wahr ist‹, und dennoch ruhig sprechen.«
Der Baron schüttelte den Kopf und zog die Schultern hoch, als wolle er mit ihr nicht streiten.
»Gut, und was sollen wir tun?« fragte er.
»Schlafen«, antwortete sie unerwartet und ging zur Tür. »Ich werde die Mädchen rufen, sie sollen euch zeigen, wo.«
»Und morgen?«
»Morgen fahren wir stromaufwärts.«
Sie öffnete die Tür und schlug einmal auf einen Bronzegong. Dann kam sie zurück und legte Kelderek die Hand auf die gesunde Schulter.
»Gute Nacht«, sagte sie, »und wir wollen darauf vertrauen, daß es die gute Nacht sein wird, um die zu beten man die Kinder lehrt.«
9. Die Erzählung der Tuginda
Die schmale Durchfahrt von der landumschlossenen Bucht zum Telthearna war so stark gekrümmt, daß man sie nur mit einem Kanu befahren konnte. Die felsigen Vorsprünge hingen zu beiden Seiten über und umschlossen die Bucht wie eine Mauer, so daß der Fluß dahinter von ihr aus nicht sichtbar war.
Die kleine, zwischen ihren gepflasterten Ufern landeinwärts führende Bucht endete unter bunten Wasserlilien am äußersten Ende des Kanals bei dem Terethstein. Kelderek wartete mit Melathys, während die Dienerinnen die Kanus beluden, und blickte nach oben, vorbei an der Brücke, die er in der vorigen Nacht überquert hatte, dorthin, wo die Terrassen sich öffneten; ihre Form glich der eines mächtigen, auf dem Hügel zwischen den Wäldern mit der Spitze abwärts liegenden Keils. Er sah, daß der Strom nicht mehr darüber floß; er war wohl in der Nacht in sein normales Bett zurückgekehrt. Hoch oben erkannte er die Gestalten von Mädchen, die sich über Hacken und Körbe beugten und zwischen den Steinen Unkraut jäteten und saubermachten.
Als das Beladen der Kanus begonnen hatte, waren die Sonnenstrahlen noch nicht zu diesem nordwärts gerichteten Ufer gelangt, doch nun stieg die Sonne über den Terrassen hoch, schien auf die Bucht und verwandelte das undurchsichtige, graue Wasser in eine schwach bewegte, leuchtend grüne Tiefe. Auf das Pflaster fielen scharfe Schatten von den kleinen Steinhäusern, die da und dort, manche abgelegen unter Bäumen, andere im Freien, umgeben von Gras und Blumen, am Ufer standen.
Wie alt wohl diese Gebäude sein mochten? Es gab sie auf Ortelga nicht. All das hier konnte nur vor sehr langer Zeit errichtet worden sein. Welche Art Menschen mochten das gewesen sein, die die Terrassen gebaut hatten?
Er wandte sich zwinkernd von der Sonne ab und sah den ernsten, schweigenden Mädchen zu, wie sie die Kanus beluden. Auf Ortelga hätten sie geplaudert, Spaß gemacht und gesungen, um sich die Arbeit zu erleichtern. Diese Frauen bewegten sich zielbewußt und sprachen nur die wenigen Worte, die erforderlich waren. Sie schwiegen wohl, nahm er an, aus Gewohnheit und weil es auf der Insel üblich war. Was für eine Erlösung würde es sein, diesen düsteren, herzbedrückenden Ort der Geheimnisse und Zauberei zu verlassen! Dann fiel ihm wieder ein, wohin sie zogen, und erneut spürte er, wie die Angst ihm den Magen zusammenkrampfte.
Eine ältliche, grauhaarige Frau, welche die Arbeit der Mädchen geleitet hatte, kam vom Ufer auf Melathys zu.
»Wir sind mit dem Laden fertig, Saiyett«, sagte sie. »Willst du nachprüfen, ob alles dort ist?«
»Nein, Thula, ich verlasse mich auf dich«, sagte die Priesterin zerstreut.
Die alte Frau legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Wir wissen nicht, meine Liebe, wohin ihr fahrt oder für wie lange«, sagte
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