Shardik
doch bald kommen. Er humpelte zu dem Stein hinüber, setzte sich, den Ellbogen aufs Knie gestützt, hin, legte den Kopf auf seine Hand und schloß die Augen.
Er fiel in einen unruhigen, leicht fiebrigen Schlummer, in dem die Vorgänge des langen Tages traumartig und wirr abzurollen begannen. Er sah sich wieder kniend im Kanu, wie er auf das Schlagen und Klatschen des Wassers im Dunkel lauschte. Aber er landete auf der Plattform des Shendrons und weigerte sich wieder einmal zu erzählen, was er gesehen hatte. Der Shendron wurde zornig und zwang ihn auf die Knie, bedrohte ihn mit seinem heißen Messer, da bewegten sich die Falten seines Pelzumhangs und wurden zu einem riesigen, zottigen Pelz, der dunkel war und wie eine Zypresse wogte.
»Beim Bären!« fauchte der Baron. »Du hast keine Wahl mehr!«
»Ich kann nur zu der Tuginda sprechen!« schrie der Jäger laut.
Er sprang auf die Beine und riß die Augen auf. Vor ihm, auf den schwarz-weißen Steinen, stand eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren. Sie hatte ein kräftiges, kluges Gesicht und war gekleidet wie eine Dienerin oder Bäuerin. Ihre Arme waren bis zu den Ellbogen nackt, und in einer Hand trug sie einen hölzernen Schöpflöffel. Er blickte sie im Mondlicht an, und ihr einfaches, vernünftiges Aussehen beruhigte ihn. Es gab zumindest eine Küche auf dieser Zauberinsel und eine ehrliche, umgängliche Person, die sich damit befaßte. Vielleicht konnte man bei ihr etwas zu essen bekommen.
»Crendro« (Ich sehe dich), sagte die Frau mit dem auf Ortelga üblichen Gruß.
»Crendro«, antwortete der Jäger.
»Bist du über die Terrassen heruntergekommen?« fragte die Frau.
»Ja.«
»Allein?«
»Die Priesterin und der Großbaron von Ortelga kommen noch – das hoffe ich zumindest.« Er griff sich mit einer Hand an den Kopf. »Entschuldige mich, ich bin todmüde, und meine Schulter schmerzt.«
»Setz dich wieder hin.« Er tat es.
»Warum bist du hier – auf Quiso?«
»Das darf ich dir nicht sagen. Ich habe eine Botschaft – eine Botschaft für die Tuginda. Nur ihr kann ich sie mitteilen.«
»Du? Ist es denn nicht Sache des Großbarons, sie der Tuginda mitzuteilen?«
»Nein. Das muß ich selbst tun.« Um nicht mehr zu sagen, fragte er: »Was ist das für ein Stein?«
»Er ist sehr alt. Er ist vom Himmel gefallen. Möchtest du etwas essen? Vielleicht kann ich den Schmerz in deiner Schulter lindern.«
»Das ist freundlich von dir. Ich möchte essen und mich auch ausruhen. Aber die Tuginda… meine Botschaft…«
»Das wird erledigt. Komm nur mit mir.«
Sie faßte ihn an der Hand, und im selben Augenblick sah er die Priesterin und Bel-ka-Trazet, die über die Brücke herankamen. Beim Anblick seiner Begleiterin blieb der Großbaron stehen, neigte den Kopf und hob die Hand an seine Stirn.
8. Die Tuginda
Der Jäger ließ sich schweigend rund um den Kreis und vorbei an dem Eisenrost führen, in dem das Feuer niedergebrannt war. Er fragte sich, ob es auch als Signal angezündet worden und nun nicht mehr nötig war, denn niemand schien es in Gang zu halten. Der Baron, der sie überholte, sprach kein Wort, hob nur wieder die Hand an die Stirn. Sie zitterte leicht, und auch sein Atem war, wenn auch beherrscht, so doch kurz und unregelmäßig. Der Jäger nahm an, daß ihn der Abstieg über die steilen, glitschigen Terrassen stärker angestrengt hatte, als er erkennen lassen wollte.
Sie verließen das Feuer, stiegen eine Treppe hinauf und blieben vor der Tür eines Steingebäudes stehen, deren Griff, ein hängender Eisenring, in der Form zweier miteinander ringender Bären gearbeitet war. Kelderek hatte noch nie eine so kunstvolle Arbeit gesehen und beobachtete verwundert, wie der Griff gedreht wurde und die gewichtige Tür sich nach innen schwenken ließ, ohne sich zu senken.
Als sie die Schwelle überschritten, begrüßte sie ein Mädchen, das genauso gekleidet war wie die beiden, die die Feuerbecken auf der Terrasse nachgefüllt hatten. Sie trug drei oder vier brennende Lampen auf einem Holztablett, die sie ihnen nacheinander reichte. Kelderek nahm eine Lampe, sah aber immer noch wenig von dem, was um ihn herum vorging, denn er war zu furchtsam, um stehenzubleiben oder umherzustarren. Von irgendwoher aus der Ferne kam ein Küchengeruch, und er merkte wieder, daß er hungrig war.
Sie betraten einen von einem Feuer erleuchteten Raum mit Steinfußboden, der wie eine Küche mit Bänken und einem langen, groben Tisch eingerichtet war. Über dem in
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