Shardik
vielleicht drei- oder vierfacher Mannshöhe über dem Wasser. Als sie näher kamen, blickte er in eine tiefe Höhle im Felsen, auf deren Boden da und dort Steinblöcke und ein paar viereckig behauene Steinplatten lagen; es wirkte jedoch alles vernachlässigt und verödet.
Melathys wandte den Kopf. »Hier hat man die Steine für die Terrassen gebrochen.«
»Wer, Saiyett? Und wann?«
Wieder blieb sie ihm die Antwort schuldig und starrte nur auf die kleinen Wellen, die an den Fuß der Felsen plätscherten. Plötzlich fuhr Kelderek erschrocken zusammen, so daß das Kanu seitlich zu schaukeln begann und eines der Mädchen mit dem Paddel fest aufs Wasser schlagen mußte, um das Gleichgewicht zu halten. Auf der flachen Felsplatte über ihnen stand eine nackte Frau, deren Haar lose über ihren Schultern hing. Sie trat an den Rand und blickte einen Augenblick nach unten, um einen festen Halt für ihre Füße zu suchen. Dann sprang sie entschlossen ins tiefe Wasser.
Als sie an die Oberfläche kam, erkannte der Jäger, daß es niemand anders war als die Tuginda. Sie schwamm ruhig zum dritten Kanu, das ihr bereits entgegenfuhr. Das Kanu des Barons hatte abgedreht. Zuerst schloß der Jäger verwirrt die Augen, und dann begrub er, damit ihn die Priesterin nicht zurechtweise, sein Gesicht in den Händen.
»Crendro, Melathys!« rief die Tuginda, Kelderek hörte ihr Lachen, als sie in das Kanu kletterte. »Ich dachte, ich hätte nichts mitgebracht als ein leichtes Herz, aber nun fällt mir ein, daß ich noch zwei Dinge habe – die Namen, die ich unseren Gästen wiedergeben muß. Kannst du mich hören, Bel-ka-Trazet, oder beeilst du dich, wie aus Sicht- auch noch aus Hörweite zu kommen?«
»Aber, Saiyett«, antwortete der Baron barsch, »du hast uns erschreckt. Und muß ich nicht auf dich als Frau Rücksicht nehmen?«
»Allerdings, die Breite des Telthearnas bedeutet Rücksicht. Sind deine Diener nicht hier?«
»Nein, Saiyett. Ich habe sie nach Ortelga zurückgeschickt.«
»Gott sei mit ihnen. Und mit Melathys, denn ihre hübschen Arme wurden von der Trazada zerkratzt. Jäger, du scheuer, verträumter Jäger, wie heißt du?«
»Kelderek, Saiyett«, antwortete er, »Kelderek Zenzuata.«
»Also, jetzt können wir sicher sein, daß wir Quiso verlassen haben. Die Mädchen werden sich über die unerwartete Fahrt freuen. Wer ist mit uns gekommen? Sheldra, Nito, Neelith – «
Sie begann, mit den Mädchen zu plaudern und zu scherzen, deren Antworten zeigten, daß sie von der guten Laune der Priesterin überzeugt waren. Nach einer Weile kam ihr Kanu längsseits, und sie berührte Keldereks Arm.
»Deine Schulter?« fragte sie.
»Besser, Saiyett«, antwortete er. »Der Schmerz hat nachgelassen.«
»Das ist gut, denn wir werden dich brauchen.«
Obwohl die Tuginda ihre Abreise geheimgehalten hatte, mußte außer Melathys offenbar noch jemand gewußt haben, was sie vorhatte, und ihr Kanu entsprechend beladen haben, denn sie war nun wie zur Jagd gekleidet, in eine Tunika aus zusammengenähten Lederstreifen, Ledergamaschen und Sandalen; ihr nasses Haar war um ihren Kopf geschlungen und durch eine leichte Silberkette zusammengehalten. Sie trug, ebenso wie die Mädchen, ein Messer im Gürtel.
»Wir fahren nicht zum Ufer von Ortelga, Melathys«, sagte sie. »Die Shendrons würden uns sehen, und innerhalb einer Stunde würde die ganze Stadt davon sprechen.«
»Wie denn, Saiyett? Wollen wir nicht an die Westküste der Insel?«
»Doch, gewiß. Aber wir werden am anderen Ufer entlangfahren und später den Fluß kreuzen.«
Ihre solcherart verlängerte Fahrt dauerte fast bis zum Abend, da sie gezwungen waren, dem immer noch da und dort schwimmenden schweren Treibgut auszuweichen. Als sie das entgegengesetzte öde Ufer mit seinem Aschengeruch erreicht hatten, waren die Mädchen schon müde. Es gab wenig, eigentlich gar keinen richtigen Schatten, und sie mußten sich ausruhen, so gut sie konnten, teils in den Kanus, teils im Fluß selbst, denn sie konnten alle schwimmen wie Fischotter. Nur Melathys blieb, anscheinend von der Hitze unberührt, gedankenverloren und schweigend auf ihrem Platz sitzen. Sie aßen Seltanüsse, Ziegenkäse und rosa Tendrionas. Der lange Nachmittag verging mit langsamem Stromaufrudern an dem toten Ufer entlang. Es war mühselige Arbeit, denn jeder Paddelschlag wurde durch am Ufer halbverkohlte Bäume und Äste behindert, von denen manche unter Wasser lagen, andere ein Gewirr von Zweigen und Blättern an der
Weitere Kostenlose Bücher