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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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lernt und davon träumt, in Bekla Herzen zu brechen; doch wenn sie erwachsen ist, hat sie eine schlechte Gestalt oder ist zu groß, und damit ist der Traum aus.«
    »All das müssen wir herausfinden und erproben, Saiyett – seine Sängerinnen müssen so verläßlich sein wie ein ortelganisches Seil im Sturm, seine Jägerinnen aufmerksam und unermüdlich. Er wird jetzt umherwandern; und während er wandert, können wir unsere Arbeit vervollkommnen, wenn uns nur Zeit genug gegeben wird.«
    »Zeit?« fragte sie, blieb stehen und wandte sich ihm zu – und wieder sah er die kluge, einfache Frau mit dem Schöpflöffel vor sich, die ihn unter den Terrassen erwartet hatte. »Zeit, Kelderek?«
    »Ja, Saiyett, Zeit. Denn früher oder später wird entweder Shardik nach Ortelga gehen, oder Ortelga wird zu ihm kommen. An dem Tag wird er die Oberhand behalten oder vernichtet werden; und was immer geschieht, den Ausgang werden wir allein bestimmen.«
     

15.Ta-Kominion
     
    Kelderek lag geduckt im Dunkel und lauschte. Es war Neumond, und der Wald ließ das Sternenlicht nicht durch. Er konnte den Bären zwischen den Bäumen hören und versuchte zum wiederholten Male festzustellen, ob er sich von ihm entfernte. Aber es wurde wieder still, nur das laute Quaken der Frösche war am Ufer zu hören. Nach einiger Zeit drang ein leises Brummen an sein Ohr. Er rief: »Ruhig, Shardik, ruhig, o mein Herr« und legte sich nieder in der Hoffnung, daß der Bär sich ausruhen werde, wenn er fühlte, daß er selbst still lag. Bald bemerkte er, daß seine Finger sich in den weichen Boden bohrten und daß er sich zum Aufsprung anspannte. Er hatte Angst: nicht nur vor Shardik in dieser unsicheren, mißtrauischen Stimmung, sondern auch, weil er spürte, daß Shardik selbst beunruhigt war – worüber, wußte er nicht.
    Schon seit Tagen streifte der Bär durch die Wälder und Felder der Insel; manchmal platschte er längs des südlichen, landeinwärts gelegenen Ufers durch das Schilf, dann wieder wandte er sich zur Mitte der Insel und stieg auf die Hügelkette, doch stets strebte er ostwärts, stromabwärts in Richtung von Ortelga, das hinter seinem Dschungelwall aus Fallen und Palisaden lag. Seine Verehrer folgten ihm Tag und Nacht. In aller Herzen brannte die Furcht vor gewaltsamem Tod, niedergehalten durch eine unbändige Hoffnung und durch Vertrauen – was sie erhofften, wußten sie nicht, aber sie vertrauten auf die Macht Shardiks, ihres Herrn, der durch Feuer und Wasser zu seinem Volk zurückgekehrt war.
    Kelderek selbst blieb stets in der Nähe des Bären, beobachtete alles, was er tat, gab auf seine Stimmungen und Eigenarten acht; auf seine beängstigende Gewohnheit, in Erregung oder Zorn von einer Seite zur anderen zu springen, seine träge Neugier, die langsame Kraft, mit der er, wie ein starker Wasserstrahl, einen schweren Stein umstürzte, einen gefällten Baumstamm hochhob oder einen jungen Baum niederstieß, das hundeähnliche Knurren mit mißtrauisch hochgezogener Lippe, sein Zurückschrecken vor den heißen Felsen in der Mittagsglut und seine Vorliebe, beim Wasser zu schlafen. Jedesmal bei Sonnenuntergang wurde der Gesang wiederholt, die Frauen bildeten ihren Halbkreis um den Bären, manchmal schön symmetrisch in offenem Gelände, oft mit mehr Schwierigkeiten zwischen Bäumen oder auf felsigen Abhängen. In den ersten Tagen kamen die meisten Insassen des Lagers, begeistert in ihrer Verwunderung und Freude über Shardiks Rückkehr, heran, um sich anzubieten und ihre eifrige Ergebenheit zu zeigen, die größer war als ihre Furcht, und die uralten Fertigkeiten zu erproben, die sie auf den Terrassen gelernt, von denen sie aber nie erwartet hatten, daß sie sie je im Ernst gebrauchen sollten. Als die Sängerinnen am vierten Abend einen weiten Kreis rund um einen Hain in Ufernähe gebildet hatten, brach der Bär plötzlich durch das Unterholz und schlug die Priesterin Anthred mit einem Prankenhieb zu Boden, der ihren Körper fast in zwei Teile zerriß. Sie war auf der Stelle tot. Der Gesang brach ab, Shardik verschwand in den Wald, und erst zur Mittagszeit des nächsten Tages fand ihn Kelderek, nachdem er viele Stunden lang mühsam seine Spur gesucht hatte, am Fuß eines Felsufers auf der anderen Inselseite. Als die Tuginda zu der Stelle kam, ging sie allein auf Shardik zu und blieb betend stehen, bis es klar wurde, daß er sie nicht angreifen würde. An jenem Abend leitete sie selbst den Gesang und bewegte sich ohne Hast und graziös wie

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