Shardik
können ihr zwar beibringen, was wir selbst wissen, stets aber bleibt dabei ein Teil, der vom Willen Gottes und von ihr selbst abhängt. Die Kunst darf nicht um des eigenen Fortkommens willen oder um anderen zu gefallen angestrebt werden, sondern nur zur Befriedigung der Sehnsucht der Sängerin, alles darzubieten, was sie besitzt. Sollte das Streben und die Hingabe der Sängerinnen zweifelhaft werden – so wurde mir überliefert –, würde auch die Macht des Gesanges schwinden. Bis gestern abend hatte keine heute lebende Frau je an der Darbietung des Gesanges für Shardik, unseren Herrn, teilgenommen. Ich dankte Gott, als ich sah, daß dessen Macht nicht verlorengegangen ist.«
»Was ist die Macht?«
Sie blickte ihn erstaunt an. »Du weißt doch, was sie ist, Kelderek Zenzuata. Warum fragst du nach Worten, um wie auf Krücken zu gehen, wenn du es in deinem Herzen hüpfen und glühen gespürt hast?«
»Ich weiß, wie der Gesang auf mich gewirkt hat, Saiyett. Aber nicht mir wurde er gestern nacht dargebracht.«
»Ich kann dir nicht sagen, was im Herzen Shardiks, unseres Herrn, vorgeht. Ich glaube inzwischen, daß du mehr darüber weißt als ich. Doch wie ich schon vor langer Zeit gelernt habe, ist es ein Weg, durch den wir ihm und Gott näherkommen. Indem wir ihm so huldigen, legen wir eine schmale, schwankende Brücke über die Schlucht, die seine wilde Natur von der unseren trennt; und so werden wir eines Tages imstande sein, ohne Straucheln durch das Feuer seiner Nähe zu wandeln.«
Kelderek überlegte eine Zeitlang. Schließlich fragte er: »Kann er also durch den Gesang beaufsichtigt – gelenkt werden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Shardik, unser Herr, kann niemals gelenkt werden, denn er ist die göttliche Kraft. Wenn aber der Gesang andächtig, aufrichtig und beherzt dargeboten wird, ist er wie die Macht, die wir über Waffen haben. Für einige Zeit überwindet er Shardiks Wildheit, der sich daran gewöhnt und so dazu gelangt, ihn als die gebührende Ehrfurcht anzunehmen, die wir ihm darbieten. Nichtsdestoweniger, Kelderek« – sie lächelte –, »Herr, glaube nicht, daß irgend jemand, Mann oder Frau, einfach des Gesanges wegen das hätte tun können, was du gestern nacht getan hast. Shardik ist immer gefährlicher als der Blitz, unzuverlässiger als der Telthearna zur Regenzeit. Du bist sein Werkzeug, sonst wäre es dir wie dem Leoparden ergangen.«
»Warum hast du den Baron fortgelassen? Er haßt Shardik, unseren Herrn.«
»Hätte ich ihn ermorden, sein hartes Herz mit einem härteren bezwingen sollen? Was wäre dabei herausgekommen? Er ist kein schlechter Mensch, und Gott sieht alles. Habe ich nicht gehört, wie du selbst ihn, als er davonging, um Vergebung batest?«
»Aber glaubst du, daß er sich damit zufriedengeben wird, Shardik, unseren Herrn, unversehrt zu lassen?«
»Ich glaube, was ich immer geglaubt habe, daß weder er noch sonst jemand Shardik, unseren Herrn, daran hindern kann, auszuführen, was auszuführen, und kundzutun, was kundzutun er gekommen ist. Aber ich sage es nochmals – wir können, was kommen wird, nur mit Demut erwarten. Unseren eigenen Zweck zu ersinnen und Shardik, unseren Herrn, für dieses Ziel zu verwenden – das wäre Frevel und Wahnsinn.«
»Das hast du mich gelehrt, Saiyett; doch nun will ich es wagen, auch dir einen Rat zu geben. Wir sollten unsere Huldigung für unseren Herrn Shardik so vervollkommnen, wie ein Mann seine Waffen vorbereitet, von denen er weiß, daß er mit ihnen sein Leben verteidigen muß. Den Liederlichen und Kleinmütigen bringt die Verehrung nichts ein. Ich habe die Verehrung von Menschen gesehen, die, wäre sie ein von ihnen gebautes Dach gewesen, keinem halbstündigen Regen standgehalten hätte; und sie besaßen nicht einmal genug Geist, um sich zu wundern, warum sie ihre Herzen kalt ließ und ihnen keinen Mut und keinen Trost gab. Shardik, unser Herr, ist tatsächlich die göttliche Kraft, aber seine Anbeter werden nur das ernten, was sie säen. Wie viele Frauen haben wir, hier und in Quiso, die im Gesang geschult und imstande sind, Shardik, unserem Herrn, furchtlos in der Nähe zu dienen, wie einst vor langer Zeit?«
»Ich kann es noch nicht sagen – vielleicht nicht mehr als zehn oder zwölf. Es ist, wie schon gesagt, mehr als eine Frage von Geschicklichkeit und Mut, denn es kann sich ergeben, daß Shardik, unser Herr, die einen akzeptiert, andere aber nicht. Du weißt, wie ein kleines Mädchen in Ortelga vielleicht tanzen
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