Sharon: die Frau, die zweimal starb
Brotstange und sagte: »Vielleicht. Wie hast du es aufgetrieben? Ich dachte, die verdammten Dinger wären alle eingezogen.«
»Ich habe die Bibliothekarin gefragt. Offenbar bekommen große Bibliotheken Vorausexemplare, eingezogen werden nur die in Buchläden und beim kommerziellen Vertrieb. Jedenfalls hat’s dort seit 1973 begraben gelegen, sehr wenig ausgeliehen.«
»Seltenes Zeichen von gutem Geschmack beim Leserpublikum«, meinte er. »Sonst noch was?«
Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit Maura Bannon. »Ich glaube, ich habe sie überzeugt, und sie hält sich raus, aber sie hat eine Quelle bei Gericht.«
»Ich weiß, wer es ist.«
»Du machst Witze.«
»Nein. Dass du’s mir sagst, klärt etwas. Vor’n paar Tagen war da dieser Medizinstudent, drittes Studienjahr, von der S.C., und rotierte durchs Gericht. Hat zu viele Fragen wegen kürzlicher Selbstmorde gestellt, schien an den Akten herumzuschnüffeln. Meine Quelle hat mir davon erzählt. Er hatte Angst, es wäre jemand von der City, der herumspionierte.«
»Schnüffelt er noch immer?«
»Nein! Rotation ist vorbei, der Junge ist da raus. Wahrscheinlich nur ein Boyfriend, der angeln geht für ein bisschen Weißer-Ritter-Sex von Lois Lane junior. Jedenfalls hattest du recht, ihr einen Dämpfer zu geben, dass sie sich lieber raushalten soll. Diese ganze Geschichte wird immer unheimlicher, und da wird kräftig dran gedreht. Gestern erschien Trapp am Kruse-Haus, schon bevor die Spurensicherung auftauchte, lächelte gemein und fragte mich, wieso ich davon gehört hätte, der ich doch offiziell noch im Urlaub sei. Ich sagte ihm, ich wäre früher wieder dagewesen und hätte an meinem Schreibtisch im Revier gesessen und irgendwelche Papierarbeit erledigt, als ein anonymer Anruf ankam, in dem von einer Viecherei an der Kruse-Adresse die Rede war. Total schwachsinnig, nicht mal der dümmste Polizeianwärter würde auf so etwas hereinfallen. Aber Trapp ging der Sache nicht weiter nach, dankte mir für meine Initiative und sagte, er würde den Fall übernehmen.«
Milo knurrte, knackte mit den Fingergelenken. »Armleuchter hat mich zu seinem Assistenten ernannt.«
»Ich habe ihn in den Nachrichten gesehen.«
»War das nicht eine Schau? Quark mit’ner großen Portion Soße. Und nun kommt’s. Es wird vermutet, Trapp wollte ganz auf den Sex-Fanatiker-Trip hinaus. Aber diese Frauen lagen nicht so, wie Sexualmordopfer liegen - nicht so wie ich sie gesehen habe -, keine gespreizten Beine oder sexuellen Posen, keine re-arrangierte Kleidung. Und soweit meine Quelle bei Gericht mir sagen kann, wenn man den Zustand der Leichen berücksichtigt: keine Strangulierung oder Verletzung.«
»Wie sind sie gestorben?«
»Geschlagen und erschossen - was zuerst kam, kann man nicht mehr feststellen. Hände auf den Rücken gefesselt, eine einzige Kugel ins Genick.«
»Hinrichtung.«
»Davon würde ich ausgehen.«
Er lud seinen Zorn an der Brotstange ab, kaute und wischte sich die Krümel vom Hemd. Dann trank er sein Bier aus und ging, um sich noch eins aus dem Kühlschrank zu holen.
»Was weiter?«, fragte ich.
Er setzte sich hin, kippte den Kopf zurück und goss Bier in die Kehle. »Eine Todeszeit kann auf Grund der Verwesung nicht exakt ermittelt werden, aber in einem Raum mit Klimaanlage, trotz der offenen Tür, müssen sie da schon eine Zeitlang gelegen haben. Sie waren aufgedunsen, die Haut pellte ab, Flüssigkeitsverlust, das hieß eher Tage als Stunden. Meine Quelle tippt auf vier bis zehn Tage. Aber wir wissen, dass die Kruses letzten Samstag noch am Leben waren, so verringert sich der Zeitraum auf vier bis sieben Tage.«
»Heißt das, man kann sie vor oder nach Sharons Tod umgebracht haben?«
»Stimmt. Und wenn es vorher war, könnte ein gewisses Szenario deine Rasmussen betreffende Theorie bestätigen. Ich habe seinetwegen die Sheriffstationen in Newhall angerufen. Er war bei ihnen wohl bekannt: ein widerlicher Säufer, Krawallmacher, sehr kurze Sicherung, x-mal wegen Körperverletzung festgenommen, und er hat seinen Alten umgelegt - hat ihn totgeprügelt und dann noch immer in ihn hineingeschossen. Wir wissen jetzt, dass er was mit der Ransom hatte, aber nicht gleichberechtigt, oder? Er war ein Problemfall - wahrscheinlich die Hälfte von ihrem Intelligenzquotienten, sie manipulierte ihn, trieb ihre Psychospiele mit ihm. Stell dir vor, sie hat irgendeinen kleinen Zorn auf Kruse, erwähnt das Rasmussen gegenüber. Sie brauchte gar nicht so direkt zu sein -
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