Sharon: die Frau, die zweimal starb
Forschungsbibliothek gab es eine einzige Eintragung über Neurath, Donald. Ein 1951 erschienenes Buch über Fruchtbarkeit, veröffentlicht von der University Press und zu finden auf dem Campus in der biomedizinischen Bibliothek. Datum und Thema passten, aber es fiel mir schwer, einen Abtreiber mit dem Autor eines so wissenschaftlichen Buches in Einklang zu bringen. Trotzdem machte ich mich auf den Weg zu Biomed, zog den Index Medicus zu Rate und fand zwei Artikel über Fruchtbarkeit von 1951 und 1952, Autor Donald Neurath mit einer Adresse in Los Angeles. Im Adressbuch der Medical Association des County L.A. sind die Mitglieder mit Fotos abgebildet. Ich fand den Band von 1950 und blätterte durch den Buchstaben N.
Sein Gesicht sprang heraus - mich an, glattes, pomadisiertes Haar, Bleistiftoberlippenbart und Zitronenlutschgesicht, als hätte ihn das Leben schlecht behandelt. Oder vielleicht lebte er nah am Abgrund.
Seine Praxis war auf dem Wilshire Boulevard, genau wie Crotty behauptet hatte. Mitglied der American Medical Association, Ausbildung an einer erstklassigen medizinischen Fakultät, ausgezeichnete Leistungen als Assistenzarzt, eine akademische Beschäftigung an der Fakultät, bei der auch ich von Zeit zu Zeit tätig war.
Die beiden Gesichter des Dr. N.
Noch eine gespaltene Identität.
Ich eilte zu den Bio-Med-Buchreihen, fand seinen Band und die beiden Artikel. Ersterer war ein editiertes Kompendium des damaligen Wissensstandes auf dem Gebiet der Fertilität. Acht Kapitel von anderen Doktoren, das Letzte von Neurath.
Seine Forschung hatte mit der Behandlung unfruchtbarer Frauen durch Injektion von Sexualhormonen zu tun, um die Ovulation - den Follikelsprung - zu stimulieren - revolutionäres Zeugs in einer Zeit, als die Fruchtbarkeit beim Menschen noch ein medizinisches Geheimnis war. Neurath betonte das und führte frühere Behandlungen an, die keinen Erfolg gezeitigt hätten: Biopsien des Endometriums, chirurgische Erweiterung der Beckenvenen, Implantation eines radioaktiven Metalls in den Uterus, sogar langdauernde Psychoanalyse in Verbindung mit Beruhigungsmitteln, um »ovulationsblockierende Ängste« zu überwinden, »die aus einer feindseligen Mutter-Tochter-Identifikation herrühren«.
Obwohl die Forscher schon in den Dreißigerjahren einen Zusammenhang zwischen Sexualhormonen und der Ovulation festgestellt hatten, waren Experimente auf Tiere beschränkt geblieben.
Neurath war einen Schritt weitergegangen und hatte ein halbes Dutzend unfruchtbarer Frauen mit Hormonen geimpft, die er aus den Ovarien und Hypophysen weiblicher Leichen gewonnen hatte. Die Impfungen waren mit einer strikten Kontrolle der Körpertemperatur und Blutuntersuchungen verbunden gewesen, um die genaue Zeit des Eisprungs zu ermitteln.
Nach mehreren Monaten wiederholter Behandlung wurden drei der Frauen schwanger. Zwei erlitten Fehlgeburten, aber eine brachte ein gesundes Kind zur Welt.
Neurath betonte, dass seine Ergebnisse vorläufiger Art wären und noch in Kontrollstudien wiederholt werden müssten, erklärte jedoch, eine Hormonbehandlung böte kinderlosen Paaren gewisse Aussichten auf Erfolg und sollte im großen Maßstab wiederholt werden. Er war seiner Zeit weit voraus.
Der Artikel von 1951 war eine kürzere Version des Buchkapitels. 1952 folgte ein Brief an den Herausgeber und eine Antwort auf den Artikel von 1951: Eine Gruppe von Ärzten beklagte sich, Neuraths Behandlung von Menschen sei voreilig, beruhe auf unzureichenden Daten, und das Ziel seiner Forschungen sei unklar. Die medizinische Wissenschaft, so betonte der Brief, wisse wenig über die Wirkung gonadotroper Hormone auf den allgemeinen Gesundheitszustand. Neurath helfe seinen Patientinnen nicht, er setze sie vielleicht sogar Gefahren aus.
Er antwortete mit einer vier Absätze langen Erwiderung, die hinauslief auf: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber er hatte nichts mehr veröffentlicht.
Fruchtbarkeit und Abtreibung.
Herr Neurath gibt. Herr Neurath nimmt.
Macht auf einer berauschenden Ebene. Machtgier lauerte hinter der motivierenden Kraft so vieler Menschenleben, die mit Sharon in Berührung gekommen waren.
Ich wünschte mir sehr, mit Dr. Donald Neurath zu sprechen. Sah im neuesten Adressbuch nach und fand nichts. Ich ging alle Adressbücher rückwärts durch. Seine letzte Eintragung war 1953.
Ein Jahr, in dem sehr viel geschehen war.
Ich blätterte das Journal of the American Medical Association auf der Suche nach Todesanzeigen durch. Neurath
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