Sharpes Beute
konnte Lavisser noch einen zusätzlichen Tag leben, und Sharpe würde zu Astrid gehen. Das war es, was er wollte, woran er den ganzen Tag gedacht hatte, als er im dunklen, stinkenden Unterdeck des dänischen Kriegsschiffs gewartet hatte.
Sharpe konnte nicht sicher sein, dass Astrid ihn willkommen heißen würde, während britische Bomben die Stadt verwüsteten, doch sein Gefühl sagte ihm, dass sie sich freuen würde. Ihr Vater würde fast mit Sicherheit Missfallen zeigen, und Aksel Bang würde vor Wut kochen, aber zur Hölle mit beiden.
Es war jetzt völlig dunkel, doch die Stadt war rot erhellt. Sharpe konnte das Prasseln von Flammen hören, das vom Krachen von Bomben unterbrochen wurde, die durch Dächer schlugen und explodierten. Er sah eine Rakete über eine Straße schlittern, Funken versprühen und ein Pferd erschrecken, das einen Karren mit Fässern Seewasser vom Hafen zog. Ein Turm war als Umriss in rotem Lichtschein und umgeben von Rauch zu erkennen.
Sharpe war für einen Augenblick ohne Orientierung im Gewirr der Gassen, dann roch er die Gin-Brennerei und folgte seiner Nase zum Ulfedts Plads, der fern von dem Viertel lag, in dem die Bomben einschlugen. Er klopfte hart an Skovgaards Tür, wie er es am ersten Abend bei seiner Ankunft in Kopenhagen getan hatte.
Er hörte, wie ein Fenster hochgeschoben wurde, und trat zurück.
»Mister Skovgaard!«, rief er.
»Wer ist da?«, antwortete eine Frauenstimme.
»Astrid!«
Es folgte eine Pause. »Lieutenant Sharpe?« Es klang zweifelnd, aber nicht missbilligend. »Sind Sie das? Warten Sie!«
Sharpes Gefühl war richtig gewesen, denn sie lächelte, als sie die Tür öffnete, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. »Du solltest nicht hier sein!«
»Ich bin es aber.«
Sie starrte ihn an, dann wandte sie sich um. »Ich hole einen Mantel«, sagte sie und ging zu einem Schrank in der Halle. »Mein Vater ist nicht hier. Er ging mit Aksel zum Gebet in die Kirche, doch ich wollte ins Waisenhaus gehen und habe Vater versprochen, dass ich nicht allein aus dem Haus gehen würde. Und jetzt bist du hier.« Sie lächelte ihn ein zweites Mal an. »Warum bist du hier?«
»Um dich zu sehen.«
»Ich glaube, ihr Engländer seid so verrückt wie grausam. Ich muss einen Schlüssel mitnehmen.« Sie fand den Haustürschlüssel. »Warum bombardiert ihr uns?«
»Weil alle verrückt sind.«
»Es ist falsch«, sagte sie heftig, »ich kann nicht glauben, was geschieht. Es ist schrecklich! Ich muss für Vater eine Nachricht hinterlassen.« Sie verschwand für einen Moment im Büro des Lagerhauses, und als sie wieder auftauchte, trug sie Mantel und Hut. Sie schloss die Haustür ab, und dann hakte sie sich bei ihm ein, als wären sie alte Freunde. »Komm«, sagte sie und führte ihn auf die rötliche Glut und das Prasseln des Feuers zu. »Ich sollte ärgerlich auf dich sein.«
»Ich bin auch ärgerlich auf meine Landsleute«, sagte Sharpe.
»Wissen sie nicht, dass hier Frauen und Kinder sind?«
»Doch, das wissen sie.«
»Und warum bombardieren sie dann?«
»Weil sie nicht wollen, dass eure Flotte den Franzosen in die Hände fällt, die damit eine Invasion in England versuchen würden.«
»Wir würden die Flotte verbrennen, bevor die Franzosen sie bekämen«, sagte Astrid, dann klammerte sie sich an seinen Arm, als drei Bomben in schneller Folge explodierten. »Wenn das Feuer nahe beim Hospital ist«, erklärte Astrid, »müssen wir die Kinder rausholen. Wirst du helfen?«
»Selbstverständlich.«
Das Krachen der Bomben wurde lauter, als sie sich der Zitadelle näherten. Die Geschosse schlugen in die dänische Festung und verwandelten ihr Zentrum in einen Hexenkessel.
Die kleinen Straßen in der Nähe waren unberührt vom Bombardement und voller Leute, die auf den rötlichen Rauch starrten, der über die Mauern der Zitadelle kroch.
Das Kinderhospital war unbeschädigt. Astrid führte Sharpe hinein, doch es wurde keine Hilfe benötigt, denn ein Dutzend andere Frauen waren gekommen, um die Kinder zu trösten. Jetzt befanden sie sich in der Krankenstation und hörten einer Geschichte zu, die ihnen vorgelesen wurde.
Sharpe blieb im Hof, halb verborgen im Schatten unter dem Balkon, und er war immer noch da, als ein halbes Dutzend dänischer Offiziere durch das Tor vom Waisenhaus kam. Sie wurden von einem älteren, beleibten Mann mit einem schwarzen Mantel und vergoldetem Zweispitz angeführt. Es hatte den Anschein, als überprüfe er, ob das Hospital beschädigt worden war.
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