Sharpes Feuerprobe
herausgefunden?«, fragte er noch einmal mit härterer Stimme.
»Private Sharpe hat mir gesagt, dass die Briten nicht im Westen angreifen sollen, Sir«, sagte Mary und vergaß, Sharpe als ihren Bruder auszugeben. »Das war alles, was er gesagt hat, Sir.«
»Alles?«, fragte Rao. »Gewiss nicht. Warum würde er Ihnen das erzählen? Hat er gedacht, Sie könnten die Nachricht aus der Stadt bringen?«
Mary starrte auf die Pistole.
»Ich sollte einen Mann suchen, Sir«, sagte sie schließlich.
»Wen?«
Sie blickte zu dem General auf, und in ihren Augen schimmerte Furcht. »Einen Händler, Sir, namens Ravi Shekhar.«
»Sonst noch jemanden?«
»Nein, Sir! Ehrlich nicht!«
Rao glaubte ihr und verspürte Erleichterung. Seine größte Besorgnis war, das man Sharpe und Lawford seinen eigenen Namen genannt haben könnte, denn obwohl Colonel McCandless versprochen hatte, Raos Verrat geheim zu halten, konnte er nicht sicher sein, dass das Versprechen eingehalten worden war. McCandless selbst war nicht unter Folter verhört worden, denn Tippu schien überzeugt zu sein, dass der ältere Colonel »Ross« auf Nahrungsbeschaffung gewesen war, als er gefangen genommen wurde, doch Rao hatte immer noch das Gefühl, dass die Entdeckung heimtückisch näher schlich. Lawford und Sharpe konnten Rao nicht als Verräter identifizieren, doch sie konnten leicht auf McCandless hinweisen, und dann würden Tippus jettis ihre Aufmerksamkeit auf den älteren Schotten konzentrieren. Wie lange konnte er ihre gnadenlose Behandlung ertragen?
Der General fragte sich, ob er aus der Stadt flüchten sollte, doch er verwarf den Gedanken, so schnell er ihm gekommen war. Eine Flucht mochte seine eigene Sicherheit sichern, doch sie würde seine große Familie und all die treuen Diener opfern. Er hielt die Pistole Mary entgegen.
»Nehmen Sie sie«, befahl er.
Mary blickte ihn erstaunt an. »Die Pistole, Sir?«
»Nehmen Sie sie. Und hören Sie mir zu, Mädchen. Ravi Shekhar ist tot, und seine Leiche wurde an die Tiger verfüttert. Es ist möglich, dass der Sultan vergessen wird, dass Sie existieren, aber wenn er sich daran erinnert, werden Sie vielleicht diese Pistole brauchen.«
Appah Rao fragte sich, ob er das Mädchen aus der Stadt schmuggeln konnte. Der Gedanke war verlockend, doch jeder Zivilist wurde an den Toren gestoppt und musste einen Pass vorweisen, der vom Sultan persönlich abgezeichnet war, und nur wenige erhielten diesen Pass. Ein Soldat mochte aus der Stadt flüchten können, aber kein Zivilist.
Appah Rao schaute in Marys dunkle Augen. »Man hat mir erzählt, dass es der wirkungsvollste Ausweg ist, die Pistole in den Mund zu schieben und leicht aufwärts zu richten.« Mary erschauerte, und der General nickte Kunwar Singh zu. »Ich gebe sie in Ihre Obhut«, sagte er.
Kunwar Singh verneigte sich.
Mary kehrte ins Quartier der Frauen zurück, während Appah Rao ein Gebet am Altar in seinem Haus hielt. Während er dort verweilte, dachte er daran, wie sehr er Männer wie Tippu oder Colonel McCandless um ihre Überzeugung beneidete. Keiner der beiden Männer schien irgendwelche Zweifel zu haben, sondern glaubte, das Schicksal würde das bringen, was sie daraus machten. Sie waren nicht dem Willen anderer unterworfen, und Appah Rao hätte gern selbst diese Überzeugung gehabt. Er hätte gern in Maisur gelebt, beherrscht von seiner alten Hindu-Herrschaft, in einem Maisur, in das keine anderen Nationen eindrangen: weder Briten noch Franzosen, weder Maharashtras noch Moslems. Stattdessen war er jedoch gefangen zwischen zwei Armeen, und irgendwie musste er seine Frau, seine Kinder, die Diener und sich selbst am Leben erhalten.
Er schloss die Augen, berührte seine Stirn mit den Händen und verneigte sich zu Ganesh, dem Gott mit dem Elefantenkopf, der Appah Raos Haushalt bewachte. »Halte uns bitte am Leben«, betete er, »halte uns nur am Leben.«
Tippu kam in den Hof, wo die Tiger wieder an ihren langen Ketten angebunden waren. Vier Infanteristen bewachten die beiden Engländer. Tippu kam nicht mit großem Zeremoniell, ohne Kämmerer und Höflinge, sondern wurde nur von einem Offizier und zwei jettis begleitet, die mit unbewegtem Gesicht beobachteten, wie Tippu zu Sharpe ging und ihm das Medaillon vom Hals riss. Er zerrte es so hart herunter, dass das Kettchen in Sharpes Nacken schnitt, bevor es riss. Dann spuckte Tippu Sharpe ins Gesicht und wandte sich ab.
Der Offizier war ein höflicher junger Moslem, der gut Englisch sprach.
»Seine
Weitere Kostenlose Bücher