Sharpes Feuerprobe
nicht aus Offizieren, obwohl wir Offiziere es gern so hätten. Eine Armee ist nicht besser als ihre Mannschaften, und wenn Sie gute Männer finden, müssen Sie sich darum kümmern. Das ist die Aufgabe eines Offiziers.«
»Jawohl, Sir«, sagte Lawford.
Die ersten Flüchtenden von den Wällen waren jetzt am Ende der Gasse sichtbar, Männer in staub- und blutbefleckten tigergestreiften Waffenröcken, Männer, die vom Kampf wegtaumelten oder -humpelten. Der Lärm des Kampfes war ein ständiges Stakkato von Musketenfeuer, Rufen und Schreien, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die ersten mörderischen Angreifer in die Straßen einfielen.
Lawford fragte sich, ob er Gudin seinen Säbel abnehmen sollte. Dann machte er sich Sorgen, weil er zugelassen hatte, dass Sharpe allein losgezogen war.
Sharpe hatte mit dem Gedanken gespielt, seinen roten Rock anzuziehen, dann sagte er sich, dass es keinen Sinn hatte, sich verdächtig zu machen, obwohl der Rock jetzt so schmutzig war, dass er kaum noch wie eine Uniform aussah, und so ließ er die gewendete Jacke an seinem Nacken verknotet und rannte mit zwei Musketen über den Schultern nordwärts durch die Stadt.
Stetig krachten Musketen, doch zugleich konnte er das wilde Schreien von Männern hören, die sich in einen brutalen Kampf stürzten. In ein paar Minuten würde sich dieser Kampf in der Stadt ausbreiten, und Sharpe wollte diese Minuten gut nutzen.
Er rannte über den kleinen Platz, auf dem immer noch Karren mit Raketen standen, und eilte dann am Inneren Palast vorbei, wo ihn ein tigergestreifter Wächter, der Sharpe für einen Deserteur der europäischen Soldaten Tippus hielt, mit einem Ruf stoppen wollte. Bevor der Wächter seine Muskete gespannt hatte, war Sharpe schon in dem Labyrinth von Gassen und Höfen verschwunden, das sich nördlich des Palastes erstreckte.
Er bahnte sich einen Weg durch eine Traube angsterfüllter Frauen, passierte die Gepardenkäfige und gelangte so zu den Kerkern. Über die Leichen der drei jettis krochen Fliegen, und jenseits von ihnen stand das äußere Tor des Kerkers immer noch offen.
Sharpe rannte durch das Tor und sprang die Treppe hinab, wo der tote Tiger lag.
»Sharpie!« Hakeswill kam an die Gitterstäbe seiner Zelle. »Du bist zurückgekommen, Junge! Ich habe es gewusst! Was ist passiert, Junge? Nein! Tu das nicht!« Hakeswill hatte gesehen, dass Sharpe eine Muskete von der Schulter genommen hatte. »Ich mag dich, Junge, ich habe dich immer gemocht! Vielleicht war ich manchmal ein bisschen hart zu dir, aber nur zu deinem eigenen Besten, Sharpie. Du bist ein guter Junge, das bist du. Du bist ein richtiger Soldat. Nein!«
Sharpe drehte die Mündung von Hakeswill fort und zielte auf das Vorhängeschloss. Er wollte keine Zeit mit dem Dietrich verschwenden, und so richtete er die Muskete einfach auf das alte eiserne Schloss und drückte ab. Das Schloss sprang auf, und Sharpe riss die Zellentür auf.
»Ich bin gekommen, um dich zu holen, Obadiah«, sagte er.
»Ich wusste das, Sharpie, ich habe es gewusst.« In Hakeswills Geicht zuckte es. »Ich wusste, dass du deinen Sergeant nicht verrotten lässt.«
»Also komm raus«, sagte Sharpe.
Hakeswill zögerte. »Du bist doch nicht nachtragend, Junge?«
»Ich bin kein Junge, Obadiah. Ich bin Sergeant. Colonel Wellesley hat es mir versprochen. Ich bin jetzt Sergeant wie du.«
»Das bist du, das bist du, und das sollst du auch sein.« In Hakeswills Gesicht zuckte es wieder. »Das hatte ich Mister Morris gesagt, nicht wahr? Ich habe ihm gesagt, Sharpe wäre der beste Sergeant, den ich je gesehen habe. Ein guter Junge, habe ich ihm gesagt. Ich halte ein Auge auf ihn, Sir, habe ich Mister Morris gesagt.«
Sharpe lächelte. »Komm endlich raus, Obadiah.«
Hakeswill wich bis zur hinteren Wand der Zelle zurück.
»Ich bleibe besser hier, Sharpie«, sagte er. »Du weißt, wie die Jungs sind, wenn ihr Blut kocht. Es könnte mir schaden, wenn ich dort rausgehe. Am besten warte ich ’ne Weile, bis die Jungs ruhig geworden sind.«
Sharpe durchquerte die Zelle mit zwei großen Schritten und packte Hakeswill am Kragen.
»Du kommst mit mir, du Bastard«, sagte er und zerrte den wimmernden Sergeant aus der Zelle. »Ich sollte dich hier töten, du Abschaum, aber du verdienst keinen Soldatentod, Obadiah. Du bist zu verkommen für eine Kugel.«
»Nein, Sharpie, nein!«, schrie Hakeswill, als Sharpe ihn am Kadaver des Tigers vorbei und die Treppe hinaufzerrte. »Ich habe dir nichts
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