Sharpes Flucht
hinausgetreten, als ein Mann versuchte, ihm Sarah wegzuschnappen. Sie wirkte nicht gerade unwiderstehlich, denn ihr zerknittertes schwarzes Kleid war am Saum zerrissen, ihr Haar hatte sich gelöst, und ihr Gesicht war verdreckt, dennoch packte der Mann sie beim Arm und protestierte wie wild, als Sharpe ihn mit seinem Gewehrkolben gegen die Wand drückte. Sarah spuckte ihn an und fügte ein paar Worte hinzu, von denen sie hoffte, dass sie schmutzig genug waren, um ihn zu schockieren.
»Du sprichst Französisch?«, erkundigte Sharpe sich bei Sarah, ohne sich darum zu scheren, dass der französische Soldat ihn hören konnte.
»Französisch, Portugiesisch und Spanisch«, antwortete sie.
Sharpe versetzte dem Mann einen Schlag zwischen die Beine, den er so schnell nicht vergessen würde, dann führte er seine Gefährten an den Leichen zweier Männer, beides Portugiesen, vorbei, die auf dem Kopfsteinpflaster lagen. Der eine war ausgeweidet worden, und das Blut floss aus einer Leiche, an der ein dreibeiniger Hund schnüffelte, zehn Fuß weit hinunter in den Rinnstein. Über ihnen brach ein Fenster entzwei, dass sich glitzernde Scherben über sie ergossen. Eine Frau schrie, und die Glocken in einer der Kirchen begannen entsetzlich misstönend zu läuten. Keiner der französischen Soldaten nahm irgendeine Notiz von ihnen, sie fragten lediglich, ob sie mit den beiden Mädchen fertig waren, und nur Sarah und Vicente verstanden die Frage.
Mehr und mehr Menschen drängten sich in die Straße, je länger sie bergan gingen und je näher sie dem Ort kamen, an dem sich den Gerüchten nach genug Lebensmittel befanden, um ganze Scharen satt zu bekommen. Sharpe und Harper nützten ihre Körpergröße aus, um sich an Soldaten vorbeizudrängeln, und schließlich erreichten sie die Häuserreihe, die Ferragus’ Lagerhaus gegenüberstand. Sharpe ging in den ersten Stock und stieg die Stufen hinauf. Eine Frau mit blutverschmiertem Gesicht, die einen Säugling an sich drückte, saß auf dem Absatz und erschrak vor ihnen, dann hatte Sharpe die letzte Treppe hinter sich gebracht und entdeckte zu seiner Erleichterung, dass der Dachboden hier genau dem ersten glich – es war eine lange Zimmerflut, die sich über die nebeneinanderstehenden Häuser darunter erstreckte. Horden von Studenten mussten hier geschlafen haben, doch jetzt waren ihre Betten umgeworfen, mit Ausnahme von einem, in dem ein französischer Soldat schlief. Er erwachte, als ihre Schritte laut auf den Dielen knarrten, und als er die beiden Frauen sah, wälzte er sich aus dem Bett. Sharpe öffnete ein Fenster im Dach und drehte sich um, als der Mann seine Hände nach Sarah ausstreckte. Sie lächelte ihn an, und dann rammte sie ihm mit verblüffender Kraft die Mündung ihrer französischen Muskete in den Bauch. Der Mann atmete keuchend aus, krümmte sich vornüber, und dann schlug Joana ihn mit ihrer Muskete, schwang sie wie der Heubauer seine Sense und ließ den Kolben gegen seine Stirn krachen. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel der Mann hintüber. Sarah grinste. Sie entdeckte Fähigkeiten an sich, die sie nie vermutet hätte.
»Bleib mit den Frauen hier«, sagte Sharpe zu Vicente. »Und halte dich bereit, zu flüchten, als sei der Teufel hinter dir her.« Er wollte die Dragoner von oben aus angreifen, und er nahm an, dass die Kavalleristen ihre Angreifer verfolgen würden, indem sie die Treppen benutzten, die dem Lagerhaus am nächsten lagen, ohne zu wissen, dass man über insgesamt vier voneinander getrennten Treppenhäusern Zugang zu dem Dachboden hatte. Sharpe hatte vor, den Weg zurückzugehen, den er gekommen war, und wenn die Dragoner den Dachboden erreichten, würde er schon längst weg sein. »Komm, Pat.«
Sie kletterten hinaus aufs Dach, auf dasselbe Dach, das sie vorhin erkundet hatten, und indem sie hinter der Brüstung entlangliefen, erreichten sie das Ende des Dachs. Von hier aus konnte Sharpe, wenn er sich vornüberbeugte, die Reiter drei Stockwerke tiefer ausmachen. Er nahm Harper die Salvenbüchse ab. »Dort unten ist ein Offizier, Pat«, sagte er. »Er reitet ein graues Pferd. Wenn ich den Befehl gebe, erschieß ihn.«
Harper füllte ein wenig Taubenkot in den Lauf seines Gewehrs und rammte ihn hinein, damit die Kugel an ihrem Platz blieb, dann schob er sich vorwärts und spähte auf die Straße hinab. Auf beiden Seiten der kurzen Straße hielten sich Dragoner auf, die ihre Pferde und den bedrohlichen Anblick ihrer langen Degen benutzten, um die
Weitere Kostenlose Bücher