Sharpes Flucht
haben die meisten Leute, Sir«, antwortete Sharpe hölzern.
»Tun Sie das?« Lawford schien überrascht. »Ich nehme an, das ist möglich. Nicht jeder kennt Sie so gut, wie ich es tue.« Er hielt inne, um an seiner Zigarre zu ziehen. »Sehnen Sie sich jemals zurück nach Indien, Sharpe?«
»Indien«, antwortete Sharpe vorsichtig. Er und Lawford hatten zusammen dort gedient, als Lawford Lieutenant und Sharpe einfacher Soldat gewesen war. »Gefallen hat es mir dort schon.«
»Es gibt Regimenter in Indien, die einen erfahrenen Offizier gut gebrauchen könnten«, sagte Lawford beiläufig, und Sharpe verspürte den Stich des Verrats, denn diese Worte bedeuteten, das der Colonel ihn loswerden wollte. Er erwiderte nichts, und Lawford schien sich nicht bewusst zu sein, dass er etwas Verletzendes gesagt hatte. »Ich kann Cornelius also beruhigen und ihn wissen lassen, dass alles in Ordnung ist?«
»Ja, Sir«, antwortete Sharpe, dann erhob er sich. »Ich muss gehen und die Feldposten inspizieren.«
»Natürlich müssen Sie das«, sagte Lawford, ohne zu verhehlen, wie enttäuscht er vom Verlauf des Gesprächs war. »Wir sollten öfter miteinander reden, Sharpe.«
Sharpe nahm seinen verbeulten Tschako und trat hinaus in die nebelverhangene Nacht. Er machte seinen Weg durch die tiefe Dunkelheit, ging zunächst über den breiten Kamm des Hügels und dann einen kurzen Pfad den östlichen Hang hinab, bis er in der schwarzen Finsternis des Tals die vom Nebel verhüllte Reihe der feindlichen Feuer gerade so erkennen konnte. Sollen sie nur kommen, dachte er, sollen sie nur kommen. Wenn er schon Ferragus nicht ermorden konnte, so würde er seine Wut eben an den Franzosen auslassen. Er hörte Schritte hinter sich, drehte sich aber nicht um. »’n Abend, Pat«, sagte er.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?« Harper musste Sharpe im Zelt des Colonels gesehen haben und war ihm den Hang hinunter gefolgt.
»Dieser verdammte Ferragus und zwei von seinen Spießgesellen.«
»Haben versucht, Sie umzubringen?«
Sharpe nickte. »Um ein verdammtes Haar wär’s ihnen gelungen. Sie hätten es geschafft, wenn nicht drei Militärpolizisten vorbeigekommen wären.«
»Militärpolizisten! Ich hätte nie gedacht, dass die zu etwas nütze wären. Und wie geht es Mister Ferragus?«
»Verletzt habe ich ihn, aber nicht schwer genug. Er hat mich geschlagen, Pat. Er hat mich blutig geschlagen.«
Harper dachte darüber nach. »Und was haben Sie dem Colonel erzählt?«
»Dass ich gestolpert bin.«
»Das erzähle ich dann also auch den Jungs, falls ihnen auffällt, dass Sie besser aussehen als sonst. Und morgen halte ich Ausschau nach Mister Ferragus. Glauben Sie, er hat noch nicht genug und kommt zurück?«
»Nein, er ist abgehauen.«
»Wir werden ihn finden, Sir. Wir werden ihn finden.«
»Aber nicht morgen, Pat. Morgen sind wir beschäftigt. Major Hogan nimmt an, dass die Franzosen diesen Hügel heraufkommen werden.«
Das war ein tröstlicher Gedanke, um den Tag zu beenden, und die beiden saßen still da und hörten dem Singen zu, das aus den dunklen Feldlagern hinter ihnen drang. Irgendwo in den britischen Linien begann ein Hund zu bellen, und augenblicklich schlossen sich Dutzende andere zu einem Echo an, was zu wütenden Rufen führte, mit denen die Tiere zum Schweigen gebracht werden sollten. Allmählich stellte sich wieder Frieden ein, mit Ausnahme eines Hundes, der einfach nicht aufhörte. Hartnäckig bellte und bellte er, bis der jähe, harsche Knall einer Muskete oder Pistole dem ein Ende setzte.
»So macht man das«, stellte Harper fest.
Sharpe sagte nichts. Er starrte den Hügel hinab in die Tiefe, wo die französischen Feuer als trüber, verhangener Lichtschein durch den Nebel sichtbar waren. »Aber was machen wir jetzt mit Mister Ferragus?«, fragte Harper. »Er darf nicht einfach einen Schützen angreifen und damit davonkommen.«
»Wenn wir morgen verlieren«, sagte Sharpe, »dann müssen wir uns durch Coimbra zurückziehen. Und dort wohnt er.«
»Dann finden wir ihn also dort«, sagte Harper grimmig. »Und dann verpassen wir ihm, was er verdient. Aber was, wenn wir morgen gewinnen?«
»Gott weiß was«, entgegnete Sharpe und nickte den Hügel hinab in Richtung des verhangenen Feuerscheins. Es waren Tausende von Feuern. »Dann verfolgen wir diese Bastarde bis zurück nach Spanien, denke ich«, fuhr er fort, »und kämpfen dort gegen sie.« Und kämpfen weiter gegen sie, dachte er, Monat um Monat, Jahr um Jahr, bis zum
Weitere Kostenlose Bücher