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Sharpes Flucht

Sharpes Flucht

Titel: Sharpes Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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hereintrat. Sie trug ein Nachthemd und einen schweren, wollenen Schlafrock. In der Hand hielt sie eine Kerze und zuckte ein wenig zusammen, als sie den Bruder ihres Arbeitgebers sah. »Ich bitte um Entschuldigung, senhor«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
    »Kommen Sie rein«, knurrte Ferragus.
    Sarah wäre lieber in ihr Zimmer zurückgekehrt, aber sie hatte die Pferde im Hof vor den Stallungen lärmen hören und hatte gehofft, Major Ferreira sei mit Neuigkeiten vom Vorstoß der Franzosen eingetroffen. Deshalb war sie in die Küche gekommen. »Sie sind verletzt«, stellte sie fest.
    »Ich bin vom Pferd gefallen«, erwiderte Ferragus. »Warum sind Sie aufgestanden?«
    »Um Tee zu machen«, antwortete Sarah. »Das mache ich jeden Morgen. Und ich frage mich, senhor «, sie nahm einen Kessel aus einem Regal, »ob sie vielleicht etwas Neues von den Franzosen wissen.«
    »Die Franzosen sind Schweine«, sagte Ferragus. »Das ist alles, was Sie wissen müssen, also machen Sie sich Ihren Tee, und machen Sie mir auch welchen.«
    Sarah stellte die Kerze ab, öffnete den Herd und legte Anmachholz in die Glut. Sobald das Anmachholz begann, Feuer zu fangen, legte sie noch weiteres Holz nach. Als das Feuer schließlich ordentlich brannte, waren bereits weitere Dienstboten im ganzen Haus beschäftigt, öffneten Fensterläden und fegten die Gänge aus, aber keiner von ihnen betrat die Küche, wo Sarah innehielt, ehe sie den Kessel füllte. Das Wasser in dem großen Bottich war mit Blut vermischt. »Ich hole welches vom Brunnen«, sagte sie.
    Durch die offene Tür sah Ferragus ihr zu. Miss Sarah Fry war ein Symbol für die Ambitionen, die sein Bruder hegte. Für Major Ferreira und seine Frau war eine englische Gouvernante ein so unschätzbarer Besitz wie feines Porzellan oder Kandelaber aus Kristall oder vergoldete Möbel. Sarah kündete von ihrem guten Geschmack, aber in Ferragus’ Augen war sie ein hochnäsiges Weib, an das sein Bruder sein Geld verschwendete. Eine typische versnobte Engländerin, befand er, und was würde sie wohl aus Tomas und Maria machen? Eingebildete kleine Abbilder ihrer selbst? Tomas brauchte keine Manieren, und er brauchte auch kein Englisch zu lernen. Er musste lernen, sich zu verteidigen. Und Maria? Ihre Mutter konnte ihr Manieren beibringen, und solange sie hübsch war, kam es auf den Rest nicht an. Das jedenfalls war Ferragus’ Ansicht. Aber er hatte gleichzeitig schon von Anfang an, als Miss Fry ins Haus seines Bruders gekommen war, bemerkt, dass sie hübsch war, nein, mehr als hübsch – sie war schön. Hellhäutig, hellhaarig, blauäugig, hochgewachsen, elegant. »Wie alt sind Sie?«, fragte er sie, als sie zurück in die Küche kam.
    »Geht Sie das irgendetwas an, senhor ?«, erwiderte Sarah brüsk.
    Ferragus lächelte. »Mein Bruder hat mich hierher geschickt, um Sie alle zu beschützen. Ich möchte gern wissen, wen ich zu beschützen habe.«
    »Ich bin zweiundzwanzig, senhor .« Sarah stellte den Kessel auf den Herd, dann stellte sie die große, braune englische Teekanne dicht daneben, sodass sich das Porzellan erwärmen konnte. Anschließend nahm sie die Blechbüchse vom Regal, und dann hatte sie nichts weiter zu tun, denn die Kanne war noch kalt und das Wasser im Kessel würde auf dem frisch entzündeten Feuer noch lange Minuten brauchen, ehe es kochte. Da sie das Nichtstun verabscheute, begann sie, ein paar Löffel zu polieren.
    »Lernen Tomas und Maria ordentlich?«, wandte sich Ferragus erneut an sie.
    »Wenn sie sich Mühe geben«, erwiderte Sarah kurz angebunden.
    »Tomas hat mir erzählt, dass Sie ihn schlagen.«
    »Natürlich schlage ich ihn«, erwiderte Sarah. »Ich bin seine Gouvernante.«
    »Aber Maria schlagen Sie nicht.«
    »Maria benutzt keine schmutzigen Wörter«, erklärte Sarah. »Und schmutzige Wörter ekeln mich an.«
    »Tomas wird ein Mann werden«, sagte Ferragus. »Er wird schmutzige Wörter brauchen.«
    »Dann kann er sie von Ihnen lernen, senhor «, gab Sarah zurück. »Aber ich werde ihn lehren, sie nicht in Gegenwart von Damen zu benutzen. Wenn das das Einzige ist, was er lernt, dann bin ich schon von Nutzen gewesen.«
    Ferragus ließ ein Knurren hören, das Amüsement verraten mochte. Er sah sich von ihrem Blick, der nicht die geringste Angst verriet, herausgefordert. Von den übrigen Dienstboten seines Bruders war er gewohnt, dass sie zusammenzuckten, wenn er vorüberging, sie senkten die Blicke und versuchten sich unsichtbar zu machen, doch dieses englische

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