Sharpes Flucht
werden angreifen«, zwang er sich selbst zu einem Themenwechsel.
»Dann sind wir morgen früh besser hellwach und auf der Hut«, sagte Lawford und machte damit deutlich, dass der Abend zu Ende war. Die Offiziere verstanden den Wink, standen auf und dankten dem Colonel, der Sharpe die Hand entgegenstreckte. »Wenn Sie können, bleiben Sie noch einen Moment, Sharpe.«
Slingsby, der einigermaßen betrunken wirkte, leerte sein Glas, knallte es auf den Tisch und schlug die Hacken zusammen. »Danke, William«, sagte er. Indem er den Vornamen des Colonels benutzte, betonte er ihr Verwandtschaftsverhältnis.
»Gute Nacht, Cornelius«, erwiderte Lawford und wartete, bis die Offiziere das Zelt verlassen hatten und im Nebel verschwunden waren. »Er hat eine ganze Menge getrunken. Aber ich denke, am Vorabend seiner ersten Schlacht kann man einem Mann eine kleine Stärkung nicht verdenken. Setzen Sie sich, Sharpe, setzen Sie sich. Trinken Sie noch einen Brandy.« Er nahm sich selbst ein Glas. »Sind Sie wirklich gestolpert? Aussehen tun Sie, als kämen Sie aus dem Krieg.«
»Da draußen zwischen den Bäumen ist es dunkel«, erwiderte Sharpe hölzern. »Und ich bin eben auf ein paar Stufen ausgeglitten.«
»Sie müssen vorsichtiger sein, Sharpe«, sagte Lawford und beugte sich vor, um sich an einer der Kerzen eine Zigarre anzuzünden. »Es ist verdammt kalt geworden, finden Sie nicht auch?« Er wartete auf eine Antwort, aber Sharpe schwieg. Der Colonel seufzte. »Ich wollte mit Ihnen sprechen«, fuhr er zwischen Zügen an der Zigarre fort. »Über Ihre neuen Leute. Der junge Iliffe macht sich gut, oder nicht?«
»Er ist ein Ensign, Sir. Wenn er ein Jahr überlebt, könnte er eine Chance haben, erwachsen zu werden.«
»Wir waren alle einmal Ensigns«, sagte Lawford. »Und es werden mächtige Eichen aus recht winzigen Eicheln, was?«
»Er ist noch eine verdammt winzige Eichel«, erwiderte Sharpe.
»Aber sein Vater ist ein Freund von mir, Sharpe. Sein Hof liegt nur ein paar Äcker von Benfleet entfernt, und er hat mich gebeten, ein Auge auf seinen Sohn zu haben.«
»Ich habe ein Auge auf ihn«, sagte Sharpe.
»Ich bin sicher, das werden Sie tun«, sagte Lawford. »Und was ist mit Cornelius?«
»Cornelius?«, fragte Sharpe, um sich Zeit zum Überlegen zu verschaffen. Er spülte sich den blutigen Mund mit Brandy aus, spuckte alles auf den Boden, dann trank er etwas. Er bildete sich ein, es lindere den Schmerz ein wenig.
»Wie stellt Cornelius sich an?«, fragte Lawford freundlich. »Er macht sich nützlich, oder?«
»Er muss sich an unsere Art zu leben gewöhnen«, antwortete Sharpe vorsichtig.
»Selbstverständlich muss er das, selbstverständlich. Aber mir war besonders daran gelegen, dass er mit Ihnen zusammen ist.«
»Warum, Sir?«
»Warum?« Der Colonel schien von der direkten Frage überrumpelt. Dann aber wedelte er mit seiner Zigarre, wie um zu sagen, dass die Antwort doch auf der Hand liege. »Ich glaube, er ist ein prächtiger Kerl, und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Sharpe, ich bin nicht sicher, dass der junge Knowles das richtige Temperament besitzt, um sich als Schütze zu eignen.«
»Er ist ein guter Offizier«, widersprach Sharpe entrüstet, und dann wünschte er, er hätte nicht ganz so heftig gesprochen, denn der Schmerz in seinen Rippen schien ihm geradewegs ins Herz zu fahren.
»Oh, er könnte nicht besser sein«, stimmte Lawford ihm hastig zu. »Und er hat einen bewundernswerten Charakter, aber ihr Schützen seid keine gemächlichen Kerle, habe ich recht? Ihr seid die Einpeitscher! Ich brauche meine Leichte Kompanie tollkühn! Angriffslustig! Scharfsinnig!« Jede dieser Tugenden wurde von einem Faustschlag auf den Tisch begleitet, der das Glas und das Silber klirren ließ. Nach der dritten legte der Colonel jedoch eine Pause ein, weil ihm offensichtlich auffiel, dass Scharfsinn nicht so viel Nachdruck benötigte wie Angriffslust und Tollkühnheit. Er überlegte ein paar Sekunden lang, suchte nach einem ähnlich beeindruckenden Wort, dann aber fuhr er fort, ohne dass ihm eines eingefallen war. »Ich glaube, dass Cornelius über diese Tugenden verfügt, Sharpe, und von Ihnen erhoffe ich mir, dass Sie ihn einsetzen.« Wieder machte Lawford eine Pause, als erwarte er eine Antwort von Sharpe, doch als der Schütze nichts sagte, wirkte der Colonel auf einmal äußerst verlegen. »Der Kern der Sache ist, dass Cornelius das Gefühl zu haben scheint, dass Sie ihn nicht mögen, Sharpe.«
»Das Gefühl
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