Sharpes Flucht
hier?«, fragte Sharpe, dann grinste er, zog ein Stück Kreide aus der Tasche und kritzelte SE CO an die blank gewienerte blaue Tür. »Erkläre ihr, dass ein wichtiger englischer Offizier heute Nacht ihr Haus benutzen wird und dass er ein Bett und eine Mahlzeit braucht.« Sharpe lauschte dem Wortwechsel zwischen Vicente und der grauhaarigen Frau. »Und frag sie, ob es hier Stallungen gibt.« Es gab welche. »Sergeant Harper?«
»Sir?«
»Finden Sie den Weg zurück zum Kai allein?«
»Den Hügel hinunter, Sir?«
»Bringen Sie den Colonel hierher. Sagen Sie ihm, er hat das beste Quartier in der Stadt, und es gibt auch Stallungen für seine Pferde.« Sharpe drängte sich an der Frau vorbei in den Korridor und sah den Mann an, der noch weiter zurückwich. Der Mann trug eine Pistole im Gürtel, aber er verriet durch kein Zeichen, dass er sie zu benutzen gedachte, als Sharpe eine Tür aufschob und in einen dunklen Raum mit einem Schreibtisch, einem Porträt über dem Kaminsims und Regalen voller Bücher blickte. Eine weitere Tür gab den Blick in ein behagliches Wohnzimmer mit zierlichen Stühlen, vergoldeten Tischen und einem in rosenfarbener Seide gepolsterten Sofa frei. Die Dienerin stritt sich mit Vicente, der versuchte, sie zu beruhigen.
»Sie ist Major Ferreiras Köchin«, erklärte Vicente, »und sie sagte, ihr Herr und sein Bruder werden nicht erfreut darüber sein.«
»Deswegen sind wir ja hier.«
»Die Frau und die Kinder des Majors sind fort«, fuhr Vicente mit seiner Übersetzung fort.
»Ich habe noch nie gern Männer vor den Augen ihrer Familie getötet«, sagte Sharpe.
»Richard!«, rief Vicente schockiert.
Sharpe grinste, dann stieg er die Stufen hinauf, gefolgt von Vicente und der Köchin. Er fand das große Schlafzimmer und stieß die Fensterläden auf.
»Perfekt«, sagte er und betrachtete das Himmelbett, das mit Wandteppichen verhängt war. »Hier kann der Colonel eine Menge Arbeit erledigen. Gut gemacht, Jorge! Erklären Sie dieser Frau, Colonel Lawford bevorzugt seine Mahlzeiten einfach und gut gekocht. Er bringt seine eigene Verpflegung mit, es bedarf nur noch der Zubereitung, aber bitte keine verdammten ausländischen Gewürze verwenden, die alles verderben. Wer ist der Mann da unten?«
»Ein Diener«, übersetzte Vicente.
»Wer ist sonst noch im Haus?«
»Stallburschen«, übersetzte Vicente die Antwort der Köchin. »Küchenpersonal und Miss Fry.«
Sharpe dachte, er hätte sich verhört. »Miss Wer?«
Jetzt wirkte die Köchin verängstigt. Sie sprach hastig und sah dabei hoch ins oberste Stockwerk. »Sie sagt, die Gouvernante der Kinder ist oben eingeschlossen«, übersetzte Vicente. »Eine Engländerin.«
»Zum Teufel. Eingeschlossen? Und wie heißt sie?«
»Fry.«
Sharpe stieg in den Dachboden hinauf. Hier waren die Stufen nicht mit Teppich ausgelegt und die Wände grau. »Miss Fry!«, rief er. »Miss Fry!« Als Antwort erhielt er einen unterdrückten Schrei und das Hämmern einer Faust an eine Tür. Er drehte den Knauf und stellte fest, dass die Tür in der Tat verschlossen war. »Treten Sie zurück!«, rief er.
Er trat hart gegen die Tür, wobei er seinen Hacken gegen das Schloss stieß. Der gesamte Dachboden schien zu erzittern, aber die Tür hielt stand. Er trat noch einmal zu und vernahm ein splitterndes Geräusch, holte erneut mit dem Bein aus und verpasste der Tür einen letzten mächtigen Tritt. Sie flog auf, und er sah eine Frau unter dem Fenster kauern, die Arme um die Knie geschlungen, ihr Haar in der Farbe blassen Goldes. Sie starrte Sharpe an, der ihren Blick erwiderte, dann jedoch sah er hastig zur Seite, weil er sich seiner Manieren besann. Die Frau, die ihm ohne jeden Zweifel schön erschien, war nämlich so nackt wie ein frisch gelegtes Ei. »Zu Ihren Diensten, Madame«, sagte er und stierte die Wand an.
»Sie sind Engländer?«, fragte sie.
»Das bin ich, Madame.«
»Dann bringen Sie mir etwas zum Anziehen«, forderte sie.
Und Sharpe gehorchte.
Ferragus hatte die Frau seines Bruders, seine Kinder und sechs Bedienstete in der Morgendämmerung auf den Weg gebracht, aber Miss Fry hatte er befohlen, oben in ihrem Zimmer zu bleiben. Sarah hatte protestiert und darauf bestanden, sie müsse mit den Kindern reisen und ihre Reisetruhe befinde sich bereits auf dem Gepäckwagen, aber Ferragus hatte angeordnet, sie müsse in ihrem Zimmer warten. »Sie werden mit den Briten gehen«, hatte er ihr erklärt.
Major Ferreiras Frau hatte ebenfalls protestiert. »Die
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