Sharpes Flucht
gemacht, und wenn jetzt noch das Rendezvous mit den Franzosen glatt verlief, war Ferragus’ Zukunft gesichert. Die Briten würden zurück nach Hause flüchten, die Franzosen würden Lissabon erobern, und Ferragus hatte sich bei ihnen als ein Mann eingeführt, mit dem man Geschäfte machen konnte. »Morgen also«, sagte er. »Du und ich reiten nach Mealhada. Was ist mit heute?«
»Ich muss mich bei der Armee melden«, sagte Ferreira. »Aber für morgen werde ich eine Ausrede finden.«
»Dann werde ich das Haus bewachen«, sagte Ferragus und dachte an das hellhäutige Vergnügen, das im obersten Stockwerk seiner harrte.
Ferreira untersuchte zwei Wagen, die an der Seite des Lagerhauses abgestellt waren. Sie waren mit nützlichen Waren beladen, mit Leinen und Hufeisen, Lampenöl und Nägeln, alles Dingen, die die Franzosen zu schätzen wissen würden. Dann ging er tiefer in das riesige Gebäude hinein und zog eine Grimasse. »Dieser Gestank«, sagte er und erinnerte sich an den Tod eines Mannes, den er in diesem Warenhaus miterlebt hatte. »Ist das die Leiche?«
»Es sind jetzt zwei Leichen«, erwiderte Ferragus stolz, dann drehte er sich um, weil ein Schwall Licht in das Lagerhaus drang, als die Tür aufgezerrt wurde. Ein Mann rief seinen Namen, und er erkannte Miguels Stimme. »Ich bin hier!«, brüllte er. »Hier hinten!«
Miguel eilte nach hinten, wo er respektvoll den Kopf neigte. »Der Engländer«, sagte er.
»Was für ein Engländer?«
»Der vom Gipfel des Hügels, senhor . Der, den Sie in dem Mönchskloster angegriffen haben.«
Ferragus’ gute Laune zerstob wie der Nebel, der vom Fluss aufstieg. »Was ist mit dem?«
»Er ist im Haus des Majors.«
»Jesus Christus!« Instinktiv fuhr Ferragus’ Hand hinunter auf seine Pistole.
»Nein!«, sagte Ferreira, was ihm einen finsteren Blick seines Bruders eintrug. Der Major sah Miguel an. »Ist er allein?«
»Nein, senhor .«
»Wie viele?«
»Drei, senhor , und einer von ihnen ist ein portugiesischer Offizier. Sie sagen, sie kommen, weil ein Colonel das Haus benutzen will.«
»Einquartierung«, erklärte Ferreira. »Wenn du zurückkommst, werden ein Dutzend Männer im Haus sein, und du kannst keinen Krieg mit den Engländern anfangen. Nicht hier und nicht jetzt.«
Das war ein guter Rat, und Ferragus wusste es. Dann fiel ihm Sarah ein. »Haben sie das Mädchen gefunden?«
»Ja, senhor .«
»Was für ein Mädchen?«, fragte Ferreira.
»Das spielt keine Rolle«, erwiderte Ferragus kurz angebunden, und das entsprach der Wahrheit. Sarah Fry spielte keine Rolle. Sie hätte ihm Spaß gemacht, aber Captain Sharpe den Garaus zu machen würde noch wesentlich mehr Spaß machen. Er dachte ein paar Sekunden lang nach. »Diese Engländer«, sagte er zu seinem Bruder, »warum bleiben die denn hier? Warum gehen sie nicht geradewegs auf ihre Schiffe?«
»Weil sie vermutlich eine neue Schlacht nördlich von Lissabon anstreben«, sagte Ferreira.
»Aber warum halten sie sich hier auf?«, ließ Ferragus nicht locker. »Warum quartieren sie hier Männer ein? Wollen sie um Coimbra kämpfen?« Diese Möglichkeit schien unwahrscheinlich, denn die Mauern der Stadt waren zum größten Teil eingerissen worden. Es war ein Ort zum Lernen und zum Handeln, nicht zum Kämpfen.
»Sie bleiben hier nur so lange«, sagte Ferreira, »wie sie brauchen, um die Lebensmittel an den Kais zu vernichten.«
In diesem Moment kam Ferragus ein Einfall, ein riskanter Einfall zwar, aber einer, der ihm das Vergnügen verschaffen mochte, nach dem es ihn verlangte. »Was wäre, wenn sie wüssten, dass sich diese Vorräte hier befinden?« Er wies auf die Stapel in dem Lagerhaus.
»Sie würden sie natürlich auch vernichten«, sagte Ferreira.
Ferragus dachte noch einmal nach, dann versuchte er, sich selbst an die Stelle des Engländers zu versetzen. Wie würde Captain Sharpe reagieren? Was würde er unternehmen? Es gab ein Risiko, dachte Ferragus, ein echtes Risiko, aber Sharpe hatte Ferragus den Krieg erklärt, so viel war klar. Weshalb sonst wäre der Engländer ins Haus seines Bruders gegangen? Und Ferragus war kein Mann, der einer Herausforderung auswich, also musste er das Risiko eingehen. »Du sagst, es war ein portugiesischer Offizier bei ihm?«
»Ja, senhor . Ich glaube, ich habe ihn erkannt. Es war Professor Vicentes Sohn.«
»Dieses Stück Scheiße«, knurrte Ferragus, dann dachte er noch einmal nach und sah klar vor sich, wie er die Fehde zu einem Ende bringen konnte. »Wir werden
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