Sharpes Gefecht
drehte sich wieder nach Osten um und holte sein eigenes Fernrohr hervor. Es dauerte ein, zwei Augenblicke, um das unförmige Ding auszurichten, doch dann hatte Sharpe den fernen Reiter in der Linse gefangen. Der Reiter trug die Uniform der Real Compañía Irlandesa, und er war in Schwierigkeiten. Bis jetzt war der Mann dem steilen Pfad gefolgt, der ins Tal führte, doch nun löste er sich davon, trieb sein Pferd mit den Zügeln an und ritt geradewegs den gefährlichen Hang hinunter. Ein halbes Dutzend Hunde rannte vor dem Reiter her, doch Sharpe war mehr an dem interessiert, was den Mann zu dem plötzlichen und gefährlichen Kurswechsel veranlasst hatte. Also richtete er sein Fernrohr nach oben, und dort, vor dem wolkenlosen Himmel, sah er die Dragoner. Französische Dragoner. Der einsame Reiter war auf der Flucht, und die Franzosen waren ihm dicht auf den Fersen.
»Kommen Sie, Sharpe?« Colonel Runciman saß auf seinem Kutscherpferd und hatte zuvorkommend auch ein Tier für Sharpe mitgebracht. Runciman verließ sich mehr und mehr auf Sharpe, wenn er es mit dem sarkastischen Lord Kiely zu tun hatte, denn dessen Kommentare raubten ihm den Mut. »Wissen Sie, was los ist, Sharpe?«, fragte Runciman, als Lord Kiely bereits eine Gruppe berittener Offiziere zum Tor hinausführte. »Ist das ein Angriff?« Runcimans ungewöhnlich engagiertes Auftreten war ohne Zweifel mehr der Angst als seiner Neugier geschuldet.
»Da ist ein Kerl in der Uniform der Kompanie. Er reitet auf uns zu, General, und ein paar Froschfresser sind ihm dicht auf den Fersen.«
»Mein Gott!« Runciman sah besorgt aus. Als Generalfeldzeugmeister hatte er bis jetzt nur wenig Gelegenheit gehabt, den Feind zu sehen, und jetzt war er sich nicht sicher, ob das nicht auch besser so geblieben wäre. Trotzdem gab er seinem Pferd die Sporen, denn er wollte nicht als Feigling dastehen. »Bleiben Sie dicht bei mir, Sharpe! Als Adjutant, verstehen Sie?«
»Natürlich, General.« Sharpe hatte sich auf einem Pferd noch nie wohl gefühlt. Dennoch folgte er Runciman über die Torbrücke.
Neugierig, was wohl der Grund für all die Aufregung war, führte Sergeant Harper derweil die Real Compañía Irlandesa auf die Mauern, vorgeblich, um Wache zu stehen, doch in Wahrheit wollten sie einfach nur sehen, warum plötzlich all ihre Offiziere aus dem Fort galoppiert waren.
Als Sharpe sein Tier schließlich über die Brücke und mit ein wenig Mühe in die richtige Richtung gewendet hatte, schien das Abenteuer jedoch schon wieder vorbei zu sein. Der fliehende Reiter hatte den kleinen Fluss überquert und war nun näher an Lord Kiely und dessen Rettungstrupp als an den Franzosen. Und da Kiely von einem Dutzend Offizieren begleitet wurde und die Dragoner nur zu sechst waren, war der Reiter in Sicherheit.
Sharpe beobachtete, wie die Hunde des Reiters aufgeregt den Rettungstrupp umkreisten. Dann sah er, dass die französischen Verfolger die grauen Uniformen von Brigadier Loups Brigade trugen.
»Der Kerl hat verdammtes Glück gehabt, General«, bemerkte er zu Runciman. »Das sind Loups Dragoner.«
»Loup?«, fragte Runciman.
»Brigadier Loup, General. Ein übler Froschfresser, der seine Männer in Wolfspelze hüllt und seinen Feinden die Eier abschneidet, bevor er sie umbringt.«
»Grundgütiger.« Runciman wurde kreidebleich. »Sind Sie sicher?«
»Ich habe ihn schon mal getroffen, General, und er hat mir gedroht, mich zu kastrieren.«
Jetzt brauchte Runciman unbedingt eine Stärkung. Er holte eine Hand voll gezuckerter Mandeln aus der Tasche und warf sie sich eine nach der anderen in den Mund. »Manchmal frage ich mich, ob mein lieber Vater vielleicht doch recht gehabt hat«, sagte er zwischen zwei Happen. »Vielleicht hätte ich wirklich besser eine Kirchenlaufbahn einschlagen sollen. Ich glaube, ich wäre ein guter Bischof geworden, auch wenn das Leben eines Bischofs einen Mann von meiner Energie nicht ganz erfüllt. Als Prälat hat man nur wenig echte Arbeit, Sharpe. Natürlich hält man dann und wann eine Predigt, und manchmal muss man auch den niederen Klerus zur Ordnung rufen, aber viel mehr kommt da nicht. Es ist nicht gerade fordernd, Sharpe, und offen gesagt leben in den Bischofspalästen eher durchschnittliche Geister – mein lieber Vater natürlich ausgenommen. Grundgütiger, was passiert denn jetzt?«
Lord Kiely war vorausgeritten, um den einsamen Reiter zu begrüßen, doch nachdem er kurz die Hand ausgestreckt und ein paar Worte mit dem Mann gewechselt
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