Sharpes Gefecht
sich bei Sonnenaufgang tatsächlich zurückziehen würde, das wusste er nicht. Er hatte seinen Männern nur gesagt, dass sich die Franzosen am Morgen wieder zurückziehen würden, um ihnen Mut zu machen, aber vielleicht bestand ja wirklich keine Hoffnung mehr. Vielleicht waren sie alle dazu verdammt, inmitten der Ruinen einer verlassenen Baracke zu verrecken, wo eine französische Elitebrigade sie abstechen oder erschießen würde. In jedem Fall waren die Franzosen fest entschlossen, diesen armseligen Haufen unglücklicher Iren ein für alle Mal zu vernichten.
»Aufpassen!«, rief ein Mann. Weiterer Staub rieselte von der Decke. Bis jetzt hatten die alten Baracken dem Angriff bemerkenswert gut standgehalten, aber schon bald würde die erste Bresche geschlagen sein.
»Nicht schießen!«, befahl Sharpe. »Wartet, bis sie durchgebrochen sind!«
Ein Häuflein kniender Frauen ließ die Rosenkränze durch die Finger gleiten und betete das Ave Maria. Nicht weit von ihnen zielten im Kreis aufgestellte Männer mit ihren Musketen nach oben, und hinter ihnen warteten weitere mit geladenen Waffen.
»Ich habe die Kohlenmine gehasst«, sagte Hagman. »Ich hatte schon in dem Moment Angst, als ich das erste Mal in den Schacht gefahren bin. Dort sind Männer ohne jeden Grund einfach verreckt. Wenn wir die Toten gefunden haben, schienen sie oft nur zu schlafen. Ich habe mir immer vorgestellt, wie Teufel aus den Tiefen der Erde sich ihre Seelen geholt haben.«
Eine Frau schrie, als sich ein Steinblock in der Decke bewegte und herabzufallen drohte. »Wenigstens hattet ihr keine schreienden Weiber in den Minen«, sagte Sharpe zu Hagman.
»O doch, Sir, die hatten wir. Einige haben mit uns gearbeitet, und andere Ladys arbeiteten für sich selbst, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich kann mich da an eine erinnern, die wir Dwarf Babs nannten. Sie hat einen Penny für einmal genommen. Und jeden Sonntag hat sie für uns gesungen. Einen Psalm oder eine von Mister Wesleys Hymnen. ›Hide me, O my Saviour, hide, till the storm of life be past‹.« Hagman grinste in der stinkenden Dunkelheit. »Vielleicht hatte Mister Wesley ja auch so seine Probleme mit den Froschfressern, Sir. Zumindest hört es sich so an. Kennen Sie Mister Wesleys Hymnen, Sir?«, fragte er Sharpe.
»Ich konnte noch nie viel mit der Kirche anfangen, Dan.«
»Dwarf Babs eigentlich auch nicht, Sir.«
»War sie deine erste Frau?«, riet Sharpe.
Hagman lief im Dunkeln rot an. »Und sie hat noch nicht einmal Geld von mir genommen.«
»Das war ja richtig nett von Dwarf Babs«, sagte Sharpe und hob dann sein Gewehr, als ein Teil des Dachs nachgab und inmitten von Staub und Schreien zu Boden stürzte. Das zerfranste Loch war zwei, drei Fuß breit, und hinter der Staubwolke ragten die Schatten der französischen Soldaten wie Riesen auf. »Feuer!«, brüllte Sharpe.
Die Musketen flammten auf, eine Sekunde später gefolgt von einer zweiten Salve, als mehr Männer in das Loch schossen. Die Reaktion der Franzosen war seltsam zurückhaltend, fast als wären sie von dem heftigen Musketenfeuer überrascht worden, das aus dem neu geöffneten Kamin kam.
Männer und Frauen luden hektisch nach und gaben die geladenen Waffen nach vorne weiter, und die Franzosen, die von den Kugeln vom Rand des Loches vertrieben worden waren, warfen Steine in die Baracke. Die Steine fielen harmlos zu Boden.
»Versperrt die Schießscharten!«, befahl Sharpe, und die Männer schnappten sich die Steine der Franzosen und blockierten damit nun ihrerseits die Löcher, damit die Franzosen nicht auf die Idee kamen, von draußen hereinzuschießen. Einen Vorteil hatte das neue Loch jedoch: Die Luft wurde frischer. Selbst die Binsenlichter erwachten zu neuem Leben und erhellten nun auch die dunkleren Ecken der zum Bersten vollen Baracke.
»Sharpe!«, rief eine Stimme draußen. »Sharpe!«
Die Franzosen hatten das Feuer kurz eingestellt, und Sharpe befahl seinen Männern, ebenfalls nicht zu schießen. »Nachladen, Jungs!« Er klang regelrecht fröhlich. »Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn die Bastarde reden statt kämpfen wollen.« Er trat näher an das Loch im Dach heran. »Loup?«, rief er.
»Kommen Sie raus, Sharpe«, verlangte der Brigadier. »Dann werden wir Ihre Männer verschonen.« Es war ein gerissenes Angebot, obwohl Loup natürlich wissen musste, dass Sharpe es nicht annehmen würde, aber das erwartete er auch nicht. Er wollte einfach nur erreichen, dass seine Kameraden Sharpe auslieferten, so wie
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