Sharpes Gold (German Edition)
und ihrer Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln.
Sie alle gemeinsam bildeten die beste Infanterietruppe in der Armee von Queen Anne. Bald würde er, Steel, diese Männer den Hügel hinauf zum Angriff führen und hinein in die Festung. Vielleicht in den Tod, vielleicht zum Ruhm und zu der Aussicht auf eine hübsche Prämie. Als Steel erneut zur dunklen Masse der Festung hinaufblickte, lief ihm vor Anspannung ein eisiger Schauer über den Rücken. Rasch wandte er den Blick ab und tat so, als würde er seine Schärpe straffen. Hansam nahm eine weitere Prise Schnupftabak, nieste erneut und rieb sich die Nase mit dem schmutzigen Seidentuch ab.
Wie Steel bekleidete auch Hansam den Rang eines »Second Company Lieutenant«, den es nur bei den Grenadieren gab. Da Colonel Farquharson den zusätzlichen Sold für den nominellen Befehl über Steels Kompanie in die eigene Tasche steckte, blieben Steel und Hansam der Rang und die Besoldung eines Captains verwehrt. Außerdem hatten sie keine untergeordneten Offiziere. Ihr letzter Fähnrich, ein schwächlicher Knabe von fünfzehn Jahren, hatte sie in Koblenz verlassen; er war aufgrund einer chronischen Ruhr wegen Dienstuntauglichkeit aus der Armee entlassen worden. Bis jetzt hatten sie noch keinen Ersatz bekommen.
Steel sagte leise: »Immerhin gibt es die Prämie.«
Hansam hob die Augenbrauen.
»Natürlich, Jack. Die Männer kämpfen nicht nur aus Liebe zur Königin und zum Vaterland. Nicht einmal aus Liebe zum Herzog, da dürfen wir uns nichts vormachen. Sorg dafür, dass die Männer zufrieden sind, und sie werden kämpfen. Oh ja. Sie werden kämpfen. Für die Prämie.«
»Ich hatte eigentlich unseren eigenen Anteil gemeint, Henry.«
»Oh.« Hansam stockte; dann grinste er. »Natürlich, mein Freund. Auch wir werden Kasse machen. Weißt du, ich habe nie richtig begriffen, weshalb ein Mann wie du, der so wenig Geld hat und so genügsam ist, bei den Foot Guards angefangen hat. Obwohl ich jetzt verstehen kann, weshalb du aus diesem illustren Regiment ausgeschieden bist und dich lieber unserem fröhlichen Haufen angeschlossen hast.«
Steel nickte. Hansam, der noch immer lächelte, fuhr fort: »Sag mal, Jack, kann ich dich dazu überreden, mich zu einem guten Schneider in London zu begleiten, falls wir überleben? Du müsstest dich mal sehen, alter Junge. Du meine Güte, allein schon dein Hut ...«
Steel blickte auf seinen Hut hinunter, den er in Händen hielt. Im Unterschied zu vielen Grenadieroffizieren trug er keine Grenadiersmütze, sondern zog seinen zerbeulten schwarzen Dreispitz mit dem goldenen Besatz. Meist kämpfte er sogar barhäuptig. Außerdem hätte ihn, den mit eins fünfundachtzig zweitgrößten Mann der Kompanie, ein Grenadierhut eher komisch als Furcht einflößend aussehen lassen. Und seine zwölf Jahre als Soldat hatten ihn gelehrt, dass man als Offizier bessere Überlebenschancen hatte, wenn man sich dem Feind nicht zu offensichtlich als Ziel zu erkennen gab. Allerdings musste man zugleich ausreichend kenntlich für die eigenen Leute sein, sodass man nicht von den eigenen Kameraden ins Jenseits befördert wurde.
»Hast schon recht, Henry. Aber der Hut sorgt immerhin dafür, dass die eigenen Leute mich erkennen.«
Hansam lachte. Beide Männer wussten, dass die eigenen Kameraden Steel schwerlich verwechseln konnten, ob mit oder ohne Hut, denn er trug keine Perücke, wie es Mode war, sondern ließ seine Haare wachsen und schnürte sie im Nacken mit einem schwarzen Band zusammen. Das war auf dem Schlachtfeld praktischer, wie er aus Erfahrung wusste.
»Donnerwetter.« Hansam zeigte auf die angetretenen Soldaten. »Offenbar stehen wir unter Befehl.«
Steel sah, dass der Reiter nun die höheren Offiziere der Stoßtruppen erreicht hatte. Sie waren von ihren Pferden gestiegen, um den Angriff zu Fuß anzuführen, wie es üblich war. Steel konnte Major-General Henry Withers und Brigadier-General James Ferguson erkennen, die Kommandeure der englischen beziehungsweise schottischen Truppen des Angriffsheeres. Neben ihnen stand die entschlossene Gestalt von John Goors, ein Offizier mittleren Alters, der die holländischen Pioniere befehligte und von dem man wusste, dass er ein Gegner des Markgrafen von Baden war, dem Oberbefehlshaber der Angriffstruppen.
Die Offiziere hatten sich in der Nähe des »verlorenen Haufens« versammelt, einem Trupp von ungefähr achtzig Mann, allesamt Freiwillige aus Steels altem Regiment, den First Foot Guards. Die undankbare Aufgabe
Weitere Kostenlose Bücher