Sharpes Gold (German Edition)
weitergehen, immer weiter.
Langsam bewegte Steel sich voran und verfiel in einen steten Rhythmus. Er hob seinen Degen. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, sich an seine Leute zu wenden.
»Grenadiere!«, rief er. »Folgt mir!«
Wieder kämpften sie sich den Hang hinauf. Mit jedem Schritt fielen weitere Männer, als neue tödliche schwarze Kugeln auf sie hinuntergeschleudert wurden. Noch zweihundert Meter, schätzte Steel. Sie mussten einfach nur durchhalten, und sie würden ihr Ziel erreichen. Immer schön weitermarschieren.
Plötzlich nahm Steel eine Veränderung im Schussrhythmus der Verteidiger wahr. Augenblicke später wurde der Grund dafür ersichtlich, als eine Kartätsche – dreißig Eisenkugeln in einem Leinenbeutel – auf die Angreifer abgefeuert wurde. Der Kugelhagel riss eine Bresche in die Männer links von Steel und zerfetzte ein Dutzend Körper in roten englischen Uniformjacken. Sekunden später ließ eine krachende Musketensalve erkennen, dass die französische Infanterie die richtige Schussdistanz gefunden hatte. Wieder fielen Männer. Irgendwo in den dichten Rauchschwaden links von Steel rief ein Offizier: »Angriff! Angriff, Jungs! Gott schütze die Königin!«
Steel sah den Mann getroffen zu Boden stürzen, doch sein Ruf wurde entlang der Angriffsreihen aufgenommen. Die Soldaten fielen in Laufschritt, während Steel losrannte. Sein Atem ging keuchend, wobei ihm der stechende Geruch der Schießpulverschwaden in der Nase brannte. Die Männer stürmten durch ein Nebelfeld aus wogendem weißem Rauch. Als sie auf der anderen Seite der Wolke hervorkamen, erschien direkt vor ihnen, wie aus dem Nichts, ein schlammiger Graben. Steel rief den Männern hinter ihm zu, stehen zu bleiben, als er den Rand der Senke erreichte, die vielleicht anderthalb Meter tief war. Hinter Steel blieben seine Leute stehen. Links und rechts konnte er die hektischen Rufe der Corporals und Sergeants vernehmen. Ein Corporal links von ihm erteilte den Befehl: »In Ordnung, Männer, da wären wir. Runter mit den Faschinen. Wir gehen da rüber.«
Als die Männer ihre Reisigbündel zu Boden warfen, keimten Zweifel in Steel auf. Irgendwas stimmte hier nicht. Das konnte nicht der Graben sein. Das wäre viel zu schnell gegangen. Nein, das war kein Verteidigungsgraben, das war bloß ein tief eingesunkener Schlammpfad. Steel rief dem Corporal zu: »Nein, nein! Lasst die Faschinen wieder aufheben. Hier sind wir nicht richtig. Folgt mir, Männer.«
Der Mann sah überrascht aus, aber es war bereits zu spät. Denn die Männer in den vordersten Reihen hatten schon ihre kostbaren Bündel aus Ruten und Reisig in die Senke geworfen. Die Ersten versuchten, darüberzulaufen, merkten aber, dass die Vertiefung zu breit war, und rutschten in den Schlamm. Gleichzeitig wühlten sich Kanonenkugeln in die Reihen. Die französischen Kanoniere hatten sich eingeschossen und zielten direkt auf den schmalen Streifen des Pfades. Einige Männer gerieten in Panik; sie wussten nicht recht, ob sie stehen bleiben, die Faschinen auswerfen oder besser ohne die Bündel in dem tief ausgetretenen Pfad zu Boden gehen sollten. Die zäheren Burschen überwanden den behelfsmäßigen Weg aus Holz und Reisig, stellten aber fest, dass sie sich dadurch dem Hagel aus Geschossen nur noch stärker aussetzten. Steel sprang in die Vertiefung, suchte die Böschung als Schutz und kletterte halb an der anderen Seite hinauf. Slaughters volltönende Stimme dröhnte über die Köpfe der Männer hinweg.
»Die Reihen schließen! Nicht zurückweichen!«
Denn inzwischen hatte sich die Formation weitgehend aufgelöst. Und für den Sergeant bedeuteten die ungeordneten Reihen Mangel an Disziplin. Das Selbstvertrauen der Männer litt. Die Nerven lagen blank. Auch Steel war klar, dass der ganze Angriff fehlschlagen würde, wenn die Männer schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Nerven verlören. Aber er sah auch, dass jetzt nicht die Zeit für Kasernendrill war, ganz gleich, was Slaughter beabsichtigte. Schnell rief er dem hünenhaften Sergeant zu: »Jacob! Vergesst die verdammten Reihen. Bringt die Männer hier runter. Sie sollen sich bei mir formieren.«
Slaughter hielt inne und trieb die Männer zu dem schützenden Graben. Rasch kletterte die halbe Kompanie der Grenadiere in die Senke. Die Männer taten es Steel gleich und drängten sich an die Böschung auf der anderen Seite. Steel nahm den Hut ab und spähte geschickt über den Rand hinauf zur Festung. Jetzt konnte er den Feind schon
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