Sharpes Gold (German Edition)
durchzuckte es heiß. Und wenn er sich nun geirrt hatte? Was, wenn dieser Graben gar nicht parallel zu den Befestigungen verlief, wie er vermutet hatte, sondern von den Franzosen und der Schlacht wegführte? Was dann? Würde er der Desertion bezichtigt? Vor ein Kriegsgericht gestellt? Ihm brach der Schweiß aus. Aber er durfte jetzt nicht verharren; er musste seinen Plan verfolgen, ganz gleich, wie die Folgen wären. Er würde alle Schuld auf sich nehmen und Hansam entlasten. Den schrecklichen Vorwurf der Desertion im Angesicht des Feindes würde er allein verantworten müssen.
Auf dem rutschigen Untergrund verlor Steel den Halt und fluchte. Bei dem gebückten Laufen taten ihm schon die Oberschenkel und der Rücken weh. Für die verhältnismäßig kurze Distanz schienen sie eine halbe Ewigkeit zu brauchen. Endlich, nach ungefähr achtzig Metern, kamen sie an eine weitere Kreuzung. Steel erkannte, dass der Graben nach links verlief, die Anhöhe hinauf zu den französischen Linien. Halblaut dankte er dem Allmächtigen und hörte ein gerauntes »Gott sei Dank« von Slaughter, der dicht hinter ihm war.
Sie folgten dem neuen Graben und spürten die Steigung des Geländes. Nach weiteren fünfzig Metern endete der Graben abrupt. Damit hatte es sich dann. Steel drehte sich um, immer noch in gebückter Haltung, und bedeutete den Männern, unten zu bleiben. Hier war es ein wenig leiser, etwas abseits der Kanonade, die nach wie vor am linken Flügel der Angreifer einen hohen Tribut forderte. Steel bedeutete den Männern mit einem Handzeichen, die Musketen auf den Rücken zu schnallen, die Taschen aufzumachen und zwei oder drei Granaten herauszuholen. Durch Zeichensprache vermittelte er seinen Leuten, dass sie die Zündschnur mit der langsam abbrennenden Lunte, die jeder Mann am Bandelier trug, in Brand setzen sollten, sobald sie in Wurfweite des Feindes wären. Steel kroch zur südlichen Böschung des Grabens und spähte über den Rand. Wie nicht anders erwartet, entdeckte er keine zweihundert Meter den Hügel hinunter die Federbüsche und Pferde der alliierten Befehlshaber, die sich ihrerseits in einer ähnlichen Senke verbargen.
Steel winkte einem der Grenadiere, einem Mann namens Pearson. Er war der schnellste Läufer der Kompanie.
»Lauft zu Marlborough. Er ist dort unten, seht Ihr? Sagt ihm, wir haben eine Lücke in der Verteidigungslinie gefunden. Sagt ihm weiter, dass ich angreifen werde und der Weg frei ist. Habt Ihr verstanden? Der Weg ist frei.«
Der junge Mann nickte, kletterte aus dem Graben und lief kurz darauf zu den alliierten Linien. Steel kroch wieder zur anderen Böschung des Grabens. Dann holte er tief Luft, stand auf, zog sich auf die Böschung, setzte einen Fuß auf die Grasnarbe, sprang aus dem Graben und richtete sich zu voller Größe auf. Keine zehn Meter trennten ihn noch vom Verlauf der grob geflochtenen Schanzkörbe jenseits eines flachen Grabens – eine kritische Distanz. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass sie so dicht an den feindlichen Linien herauskommen würden. Viel schlimmer war indes noch, dass Steel sich einem französischen Wachtposten gegenübersah, der ihn mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Einen Moment lang standen beide Männer stocksteif da, dann griffen sie zu den Waffen.
Der Franzose fingerte am Schloss seiner Muskete herum. Steel, der den Degen im Graben wieder in die Scheide geschoben hatte, zog an dem breiten Schulterriemen und umfasste den Schaft der kurzläufigen Muskete, die jeder Offizier der Grenadiere bei sich trug.
Die Waffe unterschied sich jedoch von der Muskete des Franzosen, denn ursprünglich war es eine Jagdflinte gewesen, deren Erfinder es gelungen war, eine so leichte Waffe zu konstruieren, dass man sie den ganzen Tag bei der Jagd tragen konnte. Sie konnte eine Schrotladung, aber auch eine einzelne Kugel abfeuern und war ganz auf Steel zugeschnitten. So kam es, dass die Waffe sich stets sofort an seine Wange schmiegte, als wäre sie sein verlängerter Arm – ob er nun einen Franzosen oder Rebhühner auf der Jagd vor dem Lauf hatte. Die Waffe anzulegen war eine Sache von Sekunden. Und Steel wusste, dass sie geladen war.
Er fühlte seinen Herzschlag unter dem Rippenbogen, als er den Hahn mit dem rechten Daumen spannte. Fühlte den kalten Lauf in der linken Hand und presste die Wange dicht an den Schaft. Im selben Moment legte auch der Franzose an. Steel hörte den Knall der gegnerischen Muskete, sah das Aufblitzen an der Mündung. Er spürte, wie die
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