Sharpes Trafalgar
Papieren.
Braithwaite beobachtete Sharpe, und Sharpe wusste, dass er alles vermeiden sollte, was den Verdacht des Sekretärs erregen konnte, aber er glaubte nicht, dass Lady Grace wirklich die Karten sehen wollte. So ignorierte er Braithwaites feindseligen Blick und ging zu seiner Schlafkabine, die sich jenseits der Steuerbordtür unter dem Achterdeck befand. Er klopfte an die Tür, die von der Schlafkabine in die Tageskabine führte, erhielt jedoch keine Antwort und trat unaufgefordert in die große Heckkabine.
»Sharpe!« Chase zeigte eine Spur von Ärger, denn so freundlich er auch war, sein Quartier war ihm heilig, und außerdem hatte er nicht auf das Klopfen an der Tür reagiert.
»Captain«, sagte Lady Grace und legte eine Hand auf seinen Arm, »bitte.«
Chase, der im Begriff gewesen war, eine Karte zu entrollen, blickte von Grace zu Sharpe und wieder zurück zu ihr. Dann rollte er die Karte zusammen. »Ich habe heute Morgen tatsächlich vergessen, die Chronometer aufzuziehen«, sagte er. »Würden Sie mich entschuldigen?« Er ging an Sharpe vorbei in die Speisekabine und schloss die Tür ostentativ mit einem absichtlich lauten Klicken.
»O Gott, Richard.« Lady Grace lief zu ihm und umarmte ihn.
»Was ist los?«
Sekundenlang sagte sie nichts, doch dann erkannte sie, dass ihr wenig Zeit blieb, wenn sie und der Captain nicht ins Gerede kommen wollten. »Es geht um den Sekretär meines Mannes«, hauchte sie.
»Ich weiß über ihn Bescheid.«
»So?« Sie starrte ihn überrascht an.
»Erpresst er dich?«, riet Sharpe.
Sie nickte. »Und er beobachtet mich.«
Sharpe küsste sie. »Überlass ihn mir. Und jetzt geh, bevor Gerüchte entstehen.«
Sie küsste ihn leidenschaftlich. Dann kehrte sie zurück aufs Deck, das sie vor gerade mal zwei Minuten verlassen hatte.
Sharpe wartete, bis Chase seine Chronometer aufgezogen hatte und in die Tageskabine zurückkehrte. Chase rieb sich müde übers Gesicht und musterte dann Sharpe. »Nein so was«, sagte er und ließ sich in seinen tiefen Lehnsessel sinken. »Das nennt man mit dem Feuer spielen, Sharpe.«
»Ich weiß, Sir.« Sharpe stieg das Blut in die Wangen.
»Nicht, dass ich Ihnen das verdenken könnte«, sagte Chase. »Guter Gott, glauben Sie das nicht. Ich war selbst ein scharfer Hund, bis ich Florence kennen lernte. Eine liebe Frau! Eine gute Ehe neigt dazu, einen Mann solide zu machen, Sharpe.«
»Ist das ein Rat, Sir?«
»Nein.« Chase lächelte. »Es ist Prahlerei.« Er schwieg kurz und sagte dann: »Dies wird doch nicht eskalieren, oder?«
»Nein«, sagte Sharpe.
»Es ist nur, dass Schiffe sonderbar anfällig sind, Sharpe. Die Leute können zufrieden sein und hart arbeiten, aber es fehlt nicht viel, und es gibt Streit.«
»Es wird nicht eskalieren, Sir.«
»Natürlich nicht. Wenn Sie es sagen. Nun gut. Sie haben mich überrascht. Oder vielleicht auch nicht. Sie ist eine Schönheit, und Sir William ist ein sehr kalter Fisch. Ich glaube, wenn ich nicht so glücklich verheiratet wäre, wäre ich neidisch auf Sie. Positiv neidisch.«
»Wir sind nur gute Bekannte«, sagte Sharpe.
»Natürlich sind Sie das, mein lieber Freund, natürlich sind Sie das.« Chase lächelte. »Aber ihr Ehemann könnte etwas mehr als eine - Bekanntschaft darin sehen.«
»Ich glaube, das könnte man sagen, Sir.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass nichts passiert, denn es fällt unter meine Verantwortung.« Chase sprach diese Worte mit harter Stimme und lächelte dann. »Aber sonst wünsche ich Ihnen viel Spaß. Und leise, ich bitte darum, heimlich, still und leise.« Letzteres flüsterte Chase. Dann stand er auf und ging zurück aufs Achterdeck.
Sharpe wartete eine halbe Stunde, bevor er die Heckkabine verließ. Er tat sein Bestes, um jeden Verdacht zu zerstreuen, den Braithwaite zwangsläufig haben musste, doch als Sharpe das Achterdeck wieder betrat, hatte der Sekretär es verlassen, und das war vielleicht gut so, denn Sharpe war von kaltem Zorn erfüllt.
Und Malachi Braithwaite hatte sich einen Todfeind gemacht.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2011
KAPITEL 7
Am nächsten Morgen war der Wind immer noch mäßig, und die Pucelle schien kaum durch die ruhige See mit den langen flachen Wellen zu gleiten. Es war wieder heiß, sodass die Seeleute mit nacktem Oberkörper arbeiteten. Bei einigen waren auf dem Rücken Narben vom Auspeitschen zu sehen. »Einige tragen sie wie Abzeichen von Stolz«, sagte Chase, »obwohl ich hoffe,
Weitere Kostenlose Bücher