Sharpes Trafalgar
durch sein Fernglas von der Insel erkennen konnte.
»Sie heißt St. Helena«, sagte Chase, »und gehört der East India Company. Wenn wir nichts anderes zu tun hätten, würden wir dort einen Stopp einlegen und Wasser und Gemüse kaufen.«
Sharpe blickte zu dem Landflecken in der Unermesslichkeit des Ozeans. »Wer lebt dort?«
»Einige unglückliche Männer der Company, eine Hand voll verdrossener Familien und ein paar schwarze Sklaven. Clouter, der Schläger, war als Sklave dort. Sie sollten ihn darüber befragen.«
»Sie haben ihn befreit?«
»Er hat sich selbst befreit. Schwamm eines Nachts zu uns raus, kletterte an der Ankertrosse hoch und versteckte sich, bis wir wieder auf See waren. Ich habe keinen Zweifel, dass die East India Company ihn gern wieder zurück hätte, aber da kann sie in den Wind pfeifen. Er ist ein viel zu guter Seemann.«
Es war eine Hand voll schwarzer Seeleute wie Clouter an Bord, ein Dutzend ostindische Matrosen und ein paar Amerikaner, Holländer, Schweden, Dänen und sogar zwei Franzosen. »Warum nennen Sie Clouter einen Schläger?«, fragte Sharpe.
»Weil er jemanden so hart schlug, dass der Mann eine Woche lang nicht aufwachte«, sagte Chase belustigt. Dann nahm er das Sprachrohr von der Reling und rief Clouter, der sich unter den Männern befand, die sich auf dem Vordeck aufhielten.
»Möchtest du nach St. Helena fahren, Clouter? Du kannst deine alten Freunde besuchen.«
Clouter machte die Geste des Halsabschneidens, und Chase lachte. Es waren solche kleinen Gesten, fand Sharpe, die darauf schließen ließen, dass die Pucelle ein glückliches Schiff war. Chase führte ein unbeschwertes Kommando, doch diese Entspanntheit minderte nicht seine Autorität, sondern ließ die Männer nur noch härter arbeiten. Sie waren stolz auf ihr Schiff, stolz auf ihren Kapitän, und Sharpe nahm an, dass sie wie die Teufel für ihn kämpfen würden.
Aber Capitaine Louis Montmorin stand in dem gleichen Ruf, und wenn die beiden Schiffe aufeinandertreffen würden, dann würde es zweifellos eine erbitterte, blutige Konfrontation werden.
Sharpe beobachtete Chase, denn er nahm an, dass er noch viel über die Feinheiten der Menschenführung lernen konnte. Er bemerkte, dass der Captain seine Autorität nicht unterstrich, indem er auf Strafen zurückgriff, sondern dass er hohe Leistungen erwartete und sie belohnte.
Chase verbarg seine Zweifel. Er konnte nicht sicher sein, dass Pohlmanns Diener wirklich Michel Vaillard war. Er wusste nicht mit Sicherheit, ob er die Revenant stellen konnte und ob der Franzose an Bord war, und wenn er scheiterte, würden die Lords der Admiralität bemängeln, dass die Pucelle so weit von ihrer richtigen Position abgewichen war. Sharpe wusste, dass Chase sich wegen solcher Dinge Sorgen machte, doch die Mannschaft hatte keine Ahnung von den Sorgen des Captains. Für die Mannschaft war er selbstsicher, entschlossen und zuversichtlich, und sie vertraute ihm.
Sharpe registrierte es und nahm sich vor, es ihm nachzumachen, und er fragte sich, ob er wirklich in der Armee bleiben würde. Vielleicht würde Lord William sterben? Vielleicht würde er eine schlaflose Nacht haben und in der Dunkelheit über das Achterdeck schlendern und durch einen Unfall für immer verschwinden?
Und dann?, fragte sich Sharpe. Was dann? Eine Bibliothek mit Kamin? Grace glücklich mit Büchern, und er - womit? Und als er sich diese Fragen stellte, schreckte er vor den Antworten zurück, denn sie schlossen einen Mord mit ein, vor dem er sich fürchtete. Der Tod eines Sekretärs konnte als Sturz von der Leiter erklärt werden, aber bei dem eines Adligen war das nicht so einfach. Und Sharpe hatte keinerlei Recht, Lord William umzubringen. Er würde es vielleicht tun, wenn sich die Chance ergab, aber er wusste, dass es falsch war, ein Verbrechen, das einen Makel auf seiner Zukunft hinterlassen würde. Oftmals überraschte er sich, indem er erkannte, dass er ein Gewissen hatte. Sharpe kannte viele Männer, Dutzende, die für den Preis eines Glases Ale killen würden, doch er zählte nicht dazu. Es musste einen Grund geben, und Egoismus war keine Entschuldigung. Selbst Liebe nicht.
Ob er versuchen sollte, Lord William zu einem Duell zu provozieren? Er dachte darüber nach und gelangte zu dem Schluss, dass Lord William sich niemals dazu herablassen würde, mit einem popeligen Ensign zu kämpfen. Lord Williams Waffen waren subtiler: Aktennotizen an das Kriegsministerium, Briefe an ranghohe Offiziere,
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