Sharpes Zorn (German Edition)
denken! Und um ehrlich zu sein, weiß ich bis heute nicht, ob ich wirklich geheilt bin. Rauf mit Ihnen.«
Sharpe stieg in den Sattel und folgte Lord William Russell aus der Stadt hinaus und auf den sandigen Isthmus. »Wie weit ist es?«, fragte er.
»Etwas mehr als sechs Meilen. Es ist ein schöner Ritt. Bei Ebbe reiten wir am Strand entlang, aber heute Abend werden wir uns stattdessen an die Straße halten müssen. Sie werden auch Sir Thomas in der Botschaft treffen. Ein toller Kerl. Er wird Ihnen gefallen. Er gefällt jedem.«
»Und Moon?«
»Ich fürchte, der ist auch da. Der Mann ist ein richtiger Rohling, nicht wahr? Zu mir ist er zwar stets freundlich, aber vermutlich nur, weil mein Vater ein Herzog ist.«
»Ein Herzog?«
»Der Duke of Bedford«, sagte Lord William und grinste. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin nicht der Erbe. Ich stehe noch nicht einmal in zweiter Reihe. Ich bin der Sohn, der für König und Vaterland sterben muss. Moon mag Sie nicht, stimmt’s?«
»Das habe ich auch gehört.«
»Er gibt Ihnen die Schuld an allem, was ihm widerfahren ist. Er sagt, Sie hätten seinen Degen verloren. Einen von Bennetts, stimmt’s?«
»Ich habe noch nie von diesem Bennett gehört«, sagte Sharpe.
»Das ist ein Waffenschmied in St. James. Er ist schier unglaublich gut und wahnsinnig teuer. Es heißt, man könne sich mit Bennetts Degen rasieren – nicht, dass ich das je versucht hätte.«
»Hat man deshalb nach mir geschickt? Um sich zu beschweren?«
»Grundgütiger, nein! Der Botschafter persönlich hat nach Ihnen geschickt. Vermutlich will er Sie betrunken machen.«
Der Isthmus wurde schmaler. Zu Sharpes Linker lag der Atlantik und rechts die Bucht von Cadiz. Der Rand der Bucht sah in der Dämmerung weiß aus, und das Weiße wurde von Hunderten schimmernder Pyramiden unterbrochen. »Salz«, erklärte Lord William. »Das ist ein wesentlicher Wirtschaftszweig hier in der Stadt.«
Plötzlich schämte sich Sharpe für seine zerlumpte Uniform. »Ich dachte, britische Soldaten dürften nicht in die Stadt.«
»Offiziere schon, aber nur Offiziere. Die Spanier haben Angst, wenn wir eine Garnison in die Stadt bringen, würden wir nie wieder gehen. Sie glauben, wir wollen die Stadt in ein zweites Gibraltar verwandeln. Oh, und da gibt es noch etwas Wichtiges, das Sie wissen sollten, Sharpe.«
»Und das wäre, Mylord?«
»Sagen Sie doch einfach Willie, um Himmels willen. Das tut jeder. Also – das Wichtigste, das eine, was Sie absolut nie, nie vergessen dürfen, die eine Regel, die es nie, nicht, niemals zu brechen gilt, auch wenn Sie bis oben hin voll sind, ist folgende: Erwähnen Sie NIEMALS die Frau des Botschafters.«
Sharpe schaute den überschwänglichen Lord William amüsiert an. »Warum sollte ich auch?«, fragte er.
»Sie dürfen das nicht«, erklärte Lord William mit Nachdruck, »weil das unglaublich geschmacklos wäre. Sie heißt Charlotte, und sie ist ihm davongelaufen. Charlotte, die Hure. Sie ist mit Henry Paget durchgebrannt. Es war schrecklich. Ein furchtbarer Skandal. Wenn Sie erst einmal eine Zeitlang in der Stadt sind, werden Sie auf einige davon stoßen.« Er kramte in seiner Tasche und holte eine Brosche hervor. »Hier«, sagte Lord William und warf Sharpe die Brosche zu.
Die Brosche war ein billiges kleines Ding aus Knochen. Zwei Hörner waren darauf zu sehen. Sharpe schaute sie sich an und zuckte mit den Schultern. »Kuhhörner?«
»Die Hörner, die man einem Mann aufsetzt, Sharpe. So nennt man den Botschafter hier: El Cornudo. Unsere politischen Feinde tragen diese Broschen, um ihn zu verspotten, der arme Mann. Er erträgt das vorbildlich, aber ich nehme an, es schmerzt trotzdem. Also, sprechen Sie ihn um Himmels willen nicht auf Charlotte, die Hure, an.«
»Warum sollte ich auch?«, erwiderte Sharpe. »Ich kenne den Mann doch noch nicht einmal.«
»Aber natürlich tun Sie das!«, rief Lord William fröhlich. »Er kennt Sie ja auch.«
»Mich? Wie das denn?«
»Wissen Sie wirklich nicht, wer der außerordentliche Botschafter Seiner Britischen Majestät in Spanien ist?«
»Natürlich weiß ich das nicht!«
»Der jüngste Bruder unseres Außenministers?«, sagte Lord William, doch Sharpe wusste noch immer nicht, wovon er sprach. »Sir Arthur Wellesleys kleiner Bruder Henry.«
»Sir Arthur Wellesley – meinen Sie Lord Wellington?«
»Ja, Lord Wellingtons Bruder«, bestätigte Lord William, »und es kommt noch schlimmer: Charlotte ist also mit diesem furchtbaren
Weitere Kostenlose Bücher