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Shelter Bay - 02 - Furienlied

Shelter Bay - 02 - Furienlied

Titel: Shelter Bay - 02 - Furienlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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ihre Muskeln fühlten sich an, als hätte jemand sie mit einem Kartoffelstampfer zermalmt.
    Aber mehr noch als alles andere hatte sie das Gefühl, als habe jemand sie aufgeschlitzt wie einen Kürbis, aus dem das Mark hervorquoll. Das helle Licht und die piepsenden Geräte im Krankenhaus, der Mann, der auf einer Liege in der Ecke lag, von allen ignoriert und bei jedem Atemzug stöhnend, all das führte dazu, dass sie am liebsten geschrien hätte. Wills Anwesenheit war das einzig Tröstliche. Und selbst als die Ärztin sie mit einem Stapel Formulare nach draußen entließ, als sei nichts geschehen, drohte die strahlende Helligkeit des Sonnenlichts, sie zu überwältigen.
    Will nahm sie bei der Hand und führte sie behutsam zum Gremlin. »Soll ich?«, fragte er, als er die Schlüssel zu ihrem Auto aus seiner Hosentasche zog. Sie nickte; sie war noch nicht wieder in der Verfassung, selbst zu fahren. Er öffnete die Tür für sie und sie kletterte auf den Beifahrersitz. Dann nahm er ihre Hand und hielt sie fest, während er nach Hause fuhr, langsam, vorsichtig, nur die linke Hand auf dem Lenkrad.
    Der Tag war angenehm warm geworden und Zoe kurbelte das Fenster herunter. Sie mochte die sichere, altmodische Technik des Fensterhebers. Es war ein gutes Gefühl, etwas aus eigener Kraft zu tun, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit war und ihr dabei der Arm wehtat. Sie atmete den Herbstgeruch der feuchten Blätter ein, spürte die kühle Luft auf ihrem Gesicht. Zoe und ihr Vater waren oft auch im Herbst und bis in den Winter hinein übers Wochenende in ihr Landhaus gefahren, sodass ihr die Landschaft vertraut war. Dennoch sehnte sie sich jetzt nach den tiefen Straßenschluchten Manhattans, Häuserklippen, die sich in den Himmel streckten und nur einen schmalen blauen Streifen weit oben übrig ließen. Sie vermisste die Menschenmassen.
    Was mache ich hier, fragte sie sich, unter diesem weiten Himmel?
    Sie spürte eine heiße Träne aus ihrem Augenwinkel hervorquellen und leise ihre Wange hinunterlaufen. Sie gab kein Geräusch von sich, doch Will verstärkte den Griff um ihre Hand. Er lenkte das Auto in Zoes Einfahrt. Die Reifen knirschten auf dem Kies, als der Gremlin ausrollte. Als Will den Motor abstellte, legte sich Stille über sie, sanft wie Schnee. Will sah zu ihr hinüber und strich ihr eine verirrte Locke hinters Ohr. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    Zoe spürte, wie ihre Lippen zitterten. Es gab so viel, was sie sagen wollte, doch das Einzige, was sie herausbrachte, war: »Warum?«
    Das war es. Warum? Warum musste Tim sterben? Warum ist Asia ums Leben gekommen? Warum passieren so viele schreckliche Dinge? Warum kann nicht alles wieder so sein, wie es war?
    Will lehnte sich im Fahrersitz zurück. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Ich schätze, ich hab … Ich hab einfach aufgehört, mich das zu fragen. Es bringt nichts.«
    Zoe lachte, leise und traurig. »Nein, wirklich nicht.«
    »Es passieren so viele schlimme Dinge auf dieser Welt, weißt du? Warum leben manche Menschen in Ruanda und bekommen die Arme abgehackt?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es passiert einfach. Und diese Menschen müssen eben rauskriegen, wie sie danach weitermachen können.«
    Zoe nickte. »Ich wünschte bloß, ich wüsste, was hier vor sich geht.«
    »Ich auch.«
    Die Stille lag vor ihnen wie die glatte Wasseroberfläche eines Pools. Keiner von beiden wollte sie aufstören. Schließlich, nach einer ganzen Weile, sagte Will: »Du bist stärker, als du selbst weißt.«
    »Ich will nicht stark sein. Ich will nur … ein bisschen schlafen.« Sie lachte, weil es so erbärmlich klang.
    »Mhm.« Will drehte sich zu ihr um. »Na ja, vielleicht kannst du das ja auch.«
    Sie schloss die Augen und er zog sie an sich. Sie spürte die Wärme seiner Haut durch sein blau-grau kariertes Flanellhemd, die in sie hineinzuströmen schien. Zoe küsste sanft seinen Hals, woraufhin Will überrascht zurückwich.
    Er sah sie lange an und sie fühlte, wie sie rot wurde. »Ich … Es tut mir leid«, stotterte sie. »Ich wollte nicht …«
    Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf ihre.
    Es war ein zärtlicher Kuss und Zoe würde sich für immer an das Gefühl seiner weichen Lippen, seiner Arme, die sie an seinen Körper zogen, erinnern. Glück strömte durch ihre Adern wie ein neuer Herzschlag.
    Als er sich von ihr löste, strich er ihr sanft übers Haar. Er lächelte sie an, seine Augen glänzten und sie fühlte sich auf einmal,

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