Shelter Bay - 02 - Furienlied
violetten Leine um Cocos Hals griff. »Warum? Warum hast du das gemacht? Es tut mir so leid«, schluchzte sie in Zoes Richtung. »So was hat sie wirklich noch nie getan.«
»Schon gut«, sagte Zoe.
»Sie war immer so ein braver Hund.« Die Frau rieb Cocos Flanke. Der Hund schüttelte sich erneut unsicher und wedelte einmal kurz mit dem Schwanz.
Die Polizisten standen zögernd daneben und Zoe fiel auf, wie jung der mit der Waffe war. »Möchten Sie Anzeige erstatten?«, fragte die Polizistin.
»Auf jeden Fall«, sagte Will.
»Nein«, sagte Zoe.
»Was denn jetzt?«, schnauzte der junge Polizist.
Will und Zoe sahen einander an. Wills meerblaue Augen blieben einen Moment lang hart, dann wurde sein Blick weicher. »Deine Entscheidung«, sagte er.
Zoe wandte sich an die Polizistin. »Nein, vielen Dank.«
»Dieser Hund sollte dem Ordnungsamt gemeldet werden«, erwiderte die Polizistin.
Cocos Besitzerin zog die Hündin in eine schützende Umarmung und Zoe spürte schlagartig einen pochenden Schmerz in ihrem Arm. Tränen stiegen ihr in die Augen und ihre Knie fühlten sich an wie Wackelpudding, als wären die Muskeln, die ihre Beine aufrecht hielten, plötzlich weggeschmolzen.
»Sie ist ein guter Hund«, wimmerte Cocos Besitzerin, die neben ihrem Hund auf dem Boden kniete.
Zoe blinzelte die Tränen weg und schluckte ein paarmal, in der Hoffnung, dass sie ihre Stimme wiederfinden würde. Es gelang ihr zwar, aber viel mehr als ein zittriges Krächzen brachte sie dennoch nicht zustande. »Der Hund war nicht schuld.«
»Haben Sie ihn geärgert?« Der junge Polizist hatte rote Haare und Sommersprossen auf der Nase, was es – offen gestanden – nicht ganz leicht machte, ihn ernst zu nehmen. Vielleicht führt er sich deshalb auf wie ein Vollidiot, dachte Zoe. Um über sein unschuldiges Aussehen hinwegzutäuschen. »Ich habe gar nichts getan«, sagte sie, klang dabei aber nicht sehr überzeugend. Sie hatte wirklich nichts getan, das wusste sie, und trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie doch irgendwie verantwortlich war – dass der Hund niemals durchgedreht und auf einen anderen losgegangen wäre. Seine Augen waren jetzt braun, doch als er sie angegriffen hatte, hatten sie golden geglänzt. In ihnen hatte etwas Menschliches gelegen, kraftvoll und hasserfüllt.
Wie die Augen, die sie am Strand in der Wasserhose gesehen hatte.
Als Zoe aufsah, fiel ihr Blick auf eine Gruppe von Schülern, die sich hinter den Glastüren drängten und die Szene beobachteten. Ihr Körper fühlte sich kraftlos an und in ihrem Kopf drehte sich alles. Will legte ihr einen schützenden Arm um die Schultern.
»Wir sollten zum Arzt gehen«, sagte er. »Ich denke, jemand sollte sich deinen Arm mal ansehen.«
Der junge Polizist sah aus, als wolle er sie aufhalten, aber seine Partnerin befahl: »Gehen wir« in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. »Wir brauchen eine Aussage von Ihnen«, sagte sie zu Zoe.
»Kann sie später aufs Revier kommen?«, fragte Will. »Ich denke, wir sollten sie jetzt erst einmal ins Krankenhaus bringen.« Er wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern nahm Zoe beim Ellbogen und führte sie davon.
Zoe und Will wählten den Fußweg um das Schulgebäude herum, um nicht für noch mehr Aufsehen zu sorgen. Zoe war noch nie so dankbar für jemandes Anwesenheit gewesen. Dankbar war sie auch für Wills Schweigen, dafür, dass er sich weigerte, hysterisch zu werden, auch wenn sie sich fühlte, als müsse sie gleich zusammenbrechen. Als würde alles zusammenbrechen.
Hinter sich hörte Zoe Cocos Besitzerin leise in das helle Fell des Hundes schluchzen.
Der Hund war nicht schuld. Sie wusste es.
Doch sie konnte es sich nicht erklären. Es war beinahe, als würden die Antworten mit jedem Schritt, den sie auf sie zumachte, weiter zurückweichen, um in den weiten, geheimnisvollen Ozean außerhalb ihrer Reichweite zu gleiten.
Keine erkennbaren Verletzungen.
Das hatte die Ärztin in der Notaufnahme gesagt. »An Ihrem Arm sind keine erkennbaren Verletzungen festzustellen.« Sie war afrikanischer Herkunft und ihre Aussprache war rund und musikalisch, sodass es beinahe klang, als bejubele sie das Fehlen jeglicher Verletzungen. Zoe war allerdings nicht nach Jubeln zumute. Genau genommen war sie nicht einmal der gleichen Meinung. Es stimmte schon, ihr Arm war noch dran. Dank dem dicken Stoff ihrer Jacke gab es keine Bissspuren, nicht die kleinste blutende Wunde. Doch der ganze Arm war voller Blutergüsse –
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