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Shelter Bay - 02 - Furienlied

Shelter Bay - 02 - Furienlied

Titel: Shelter Bay - 02 - Furienlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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angegriffen hatte, doch er hatte Will an ein Segelboot erinnert, das von einem unsichtbaren Wind vorangetrieben wurde. Was hatte den Hund so durchdrehen lassen? Er blickte aus dem Fenster zum Haus auf der anderen Seite des Bachs. Der Himmel verdunkelte sich zu einem grauen Zwielicht und aus Zoes Zimmer strahlte ein gelber Schimmer auf die Blätter des Ahornbaums, die ihr Fenster umrahmten und bereits anfingen, in herbstliches Braun überzugehen. Sie war nicht in ihrem Zimmer, doch Will fand es tröstlich zu wissen, dass er ihr Zuhause von seinem Bett aus im Blick hatte. Sie war in dem alten Bauernhaus, in Sicherheit. Er sah hinunter auf die Flöte in seiner Hand. Sie war federleicht, so lang wie sein Unterarm und bestand aus menschlichem Knochen. Eine dunkle Vorahnung befiel ihn.
    Der Kuss am Nachmittag hatte ihn überwältigt, aber nicht überrascht. Er fragte sich, warum es nicht schon früher dazu gekommen war. In dem Moment, als er die sanfte, zögerliche Berührung ihrer Lippen an seinem Hals gespürt hatte, war Will klar gewesen, dass sie einen Punkt erreicht hatten, an dem es keine Umkehr gab. Der Kuss, der darauf folgte, hatte einen Damm zum Bersten gebracht, über den hinweg sich ein Strom aufgestauter Gefühle Bahn brach. Er konnte nicht länger leugnen, dass er Zoe mit einer solchen Intensität, dass es ihm Angst machte, liebte. Ihre Haut zu berühren, den süßen Duft ihrer Haare wahrzunehmen – das alles war für ihn so kostbar, und als er sie erneut geküsst hatte, hätte er sie am liebsten nie wieder losgelassen. Sein Bedürfnis, sie zu beschützen, war nur noch größer geworden, verzweifelter. Die Liebe hatte sie miteinander verbunden und ein flackerndes, wärmendes Feuer in der Ruine, die sein Leben war, entfacht.
    Er hatte nicht von ihrer Seite weichen wollen, doch Zoe war der Meinung gewesen, sie müsse ihrem Vater von dem Angriff des Hundes erzählen, und zwar allein. Also hatte er sie auf der Türschwelle noch einmal geküsst, die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen drückte, gespürt und sie schließlich gehen lassen.
    Dann hatte er sich auf den Weg nach Hause gemacht.
    Seine Mutter war in der Küche gewesen und hatte sich bei einer Tasse Kaffee entspannt, als er vom Polizeirevier zurückkehrte. Sie hatte zu Will aufgesehen und gelächelt. Ein solches Lächeln hatte er von ihr schon lange nicht mehr gesehen; es war, als seien all ihre Sorgen von ihr abgefallen und als freue sie sich einfach nur, ihn zu sehen. Aus einem Impuls heraus war Will hinter sie getreten und hatte sie auf den Kopf geküsst. Sie hatte nach seiner Hand gegriffen, die er auf ihre Schulter gelegt hatte, und blinzelnd hoch in sein Gesicht geblickt. »Was ist los?«, hatte sie gefragt, doch ihre Stimme hatte überrascht geklungen, nicht besorgt.
    »Nichts«, hatte Will geflüstert und ihre weiche Hand gedrückt.
    Sie hatte auf ihre Kaffeetasse hinabgesehen. »Um sechs gibt’s Abendessen.«
    »Abendessen gibt’s immer um sechs.«
    Er war die Stufen in sein Zimmer hinaufgestiegen und hatte seine Schultasche auf den Boden geworfen. Dann war er zum Fenster gegangen und hatte hinüber zu Zoes Haus geblickt. Er hatte sie am Fenster vorbeihuschen sehen. Dann war sie zur Tür gegangen und verschwunden.
    Er hatte sich zu seinem Schreibtisch umgedreht und ein Schauer war durch seinen ganzen Körper gelaufen. Auf der glänzenden dunklen Holzplatte hatte die Flöte gelegen, die er von Barry McFarlan bekommen hatte. Sie war nach dem Unfall an Bord der Vagabond entdeckt worden und Barry war davon ausgegangen, dass sie Tim gehört hatte. Will hatte später herausgefunden, dass die Sirenen solche Flöten benutzten, um einander zu rufen. Asia hatte ihm das erzählt.
    Normalerweise bewahrte er sie vergraben unter alten Zeitschriften und Erinnerungsstücken in der untersten Schreibtischschublade auf. Er hatte keine Ahnung, wie sie von dort auf die Tischfläche gelangt war. Er hatte die Hand ausgestreckt und zögerlich mit dem Finger über den glatten Knochen gestrichen. Dann hatte er die Flöte in die Hände genommen, um ihr federleichtes Gewicht zu spüren.
    Ich muss sie dort hingelegt haben, überlegte er jetzt. Ich muss sie dort hingelegt und dann vergessen haben.
    Ein vernünftiger Gedanke. Unwahrscheinlich zwar, aber weitaus vernünftiger als die Alternative, dass jemand in sein Zimmer eingebrochen war und die Flöte so auf seinen Schreibtisch gelegt hatte, dass er sie dort finden würde. Obwohl auch das nicht vollkommen unmöglich

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