Shelter Bay - 02 - Furienlied
Gesundheit und allem Anschein nach vollkommen unverletzt ist. »Sie muss nach dem Brand dort abgelegt worden sein«, sagte Dr. Elizabeth Anders. »Sie ist erst wenige Stunden alt.«
Die Feuerwehr vor Ort rätselt weiterhin, wie das Baby dorthin gelangt sein könnte. »Es war wirklich merkwürdig – das Baby befand sich in dem Teil des Hauses, der zu diesem Zeitpunkt bereits fast vollständig abgebrannt war«, sagte Feuerwehrmann DeShawn Greene. »Es war umgeben von schwarzer, rauchender Asche.«
Zoe warf erneut einen Blick auf das Datum am oberen Rand: 21. Juli 1995. »Ein Tag nach meiner Geburt«, sagte sie. Sie war nicht wirklich überrascht. Der Artikel bestätigte lediglich, was sie ohnehin schon befürchtet hatte.
»Saskia Robicheck ist meine Mutter«, erklärte sie ihm.
»Meine leibliche Mutter.«
»Ich wusste nicht, dass du adoptiert bist.«
Zoe zuckte mit den Schultern. »Woher auch?«
Er seufzte. »Und du glaubst, du bist das Baby?« Angus tippte auf das Blatt. »Dieses Baby?«
»Ich weiß es«, antwortet Zoe. Sie legte das Blatt vorsichtig auf den Tisch zurück und faltete es in der Mitte. Es fühlte sich seltsam an, es wegzuwerfen, aber sie wollte es auch nicht unbedingt behalten. Also faltete sie es ein weiteres Mal und schob es in ihre Gesäßtasche. »Ich weiß nur nicht, was das bedeutet. Falls es etwas bedeutet.«
»Es ist einfach merkwürdig.«
»Wer weiß überhaupt noch, was merkwürdig ist?« Zoe rutschte mit ihrem Stuhl nach hinten und schlug die Arme übereinander. Sie schwieg.
»Also, heißt das jetzt, du hast magische Fähigkeiten oder so was?«, witzelte Angus. »Wie Stephen Kings Feuerkind? Hey, du könntest einen Grillimbiss eröffnen und –«
»Bitte hör auf.«
»Okay.«
Zoe drückte die Finger gegen ihre Schläfen, während sie versuchte, die Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten, zurückzudrängen. »Ich weiß nicht, was das heißt«, sagte sie schließlich. »Aber danke fürs Raussuchen.« Sie erhob sich.
»Zoe.« Angus packte ihre Hand und hielt sie zurück. »Es tut mir leid.«
Und er sah so kläglich aus, dass sie Mitleid mit ihm bekam. Sie drückte seine Hand. »Ist ja nicht deine Schuld.« Sie gab sich Mühe, freundlich zu klingen, trotz der Angst und dem Zorn, die in ihr tobten.
»Nein, aber … mir tut’s trotzdem leid. Ich seh ja, dass du völlig durch den Wind bist. Aber das hier bedeutet gar nichts.«
Angus stand auf und beugte sich vor, um sie in den Arm zu nehmen. Er war über einen Kopf größer als sie, sodass ihr Kopf unbeholfen gegen seine Schulter prallte, während ihre Nase auf dem gezackten Reißverschluss seiner Jacke plattgedrückt wurde. Trotzdem war sie dankbar für die Berührung.
»Was ist los?«, fragte Will. Beim Anblick ihrer Umarmung legte er missmutig den Kopf schief. Er reichte Zoe einen Plastikbecher mit Wasser. Sie spürte seinen Blick, als sie einen Schluck nahm. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja.«
Sie sah zu Angus hinüber, der ihr die Hand auf den Arm legte. Will bemerkte die Geste und hielt sie wohl für ein Zeichen, dass Angus um Verzeihung bat, denn er seufzte. »Okay«, sagte er. »Gut.«
Die Pausenglocke schrillte und kündigte die nächste Stunde an. »Bis später«, sagte Zoe und hob ihr Tablett auf.
»Bis später«, rief Will ihr hinterher. Angus schwieg.
Ausnahmsweise, dachte sie, war Angus einmal sprachlos.
Kapitel 15
Glühwürmchen schwebten über ihr und segelten in den schwarzen Himmel, als wollten sie sich den Sternen anschließen. Dann erloschen sie. Um sie herum waren finster dreinblickende Gesichter – wütend und schmutzig –, die im Licht der Fackeln flackerten. Eine alte Frau mit einem grauen Kopftuch schrie etwas, aber Zoe konnte die Worte nicht ausmachen – es war, als sehe sie mit abgeschaltetem Ton fern. Sie konnte sehen, dass alle aufschrien und gleichzeitig zu rufen begannen, aber Zoe verstand nicht, weshalb.
Neben ihr war ein etwa fünfzigjähriger Mann mit schweren Lidern und eingefallenen Wangen. Er stand aufrecht, so steif wie eine Vogelscheuche, und deutete mit einem knochigen Finger auf sie. Er begann zu sprechen, aber wieder konnte Zoe die Worte nicht verstehen. Seine Lippen formten das Wort »brennen« und sie sah, dass er eine Fackel trug. In diesem Moment erkannte sie, dass sie sich nicht bewegen konnte – ihre Hände waren hinter ihrem Rücken zusammengebunden, die Füße standen auf unebenem Grund. Und dann flog die Fackel auf sie zu und sie sah die Zweige unter
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