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Shelter Bay - 02 - Furienlied

Shelter Bay - 02 - Furienlied

Titel: Shelter Bay - 02 - Furienlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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Zoe, da hast du mich falsch verstanden.«
    Zoe nickte, doch der Nebel in ihrem Kopf wurde nur noch dichter. Sie konnte nicht sagen, ob es an der mentalen Anstrengung lag oder einfach nur an der Melodie von Asias Stimme, dass sie sich gleich hier auf der Couch zusammenrollen und schlafen und die Welt um sich herum vergessen wollte. Aber sie war gezwungen zuzuhören, Asias Lippen zu beobachten, wie sie die Worte formten.
    »Tisiphone will dich nicht töten«, sagte Asia. »Du bist Tisiphone.«
     
    Der Regen fiel, leicht und regelmäßig, er durchnässte Zoes Haar und sammelte sich in schweren Tropfen an ihren Wimpern wie Tränen. Ihre neuen Sneakers kämpften sich durch das nasse Gras, schlammverkrustet und übersät mit Grasschnitt. Eine leichte Oktoberkühle hing in der Luft, aber es war nicht unangenehm. Die Wolken hatten sich gelichtet und die spätnachmittägliche Sonne trat zögerlich in Erscheinung.
    Sie lief zur Bucht.
    Zoe wusste nicht, warum. Vielleicht brauchte sie einfach nur die Aussicht auf die freie Fläche vor ihr. Vielleicht musste sie den Ort ihres Verbrechens sehen. Von Tisiphones Verbrechen.
    Du bist Tisiphone.
    Nein, dachte sie. Nein. Ich bin Zoe. Ich bin Zoe und niemand sonst.
    Doch auf diesen Gedanken folgte sogleich ein anderer: Wer warst du, als dieser Räuber dich angegriffen hat?
    Sie hatte gefühlt, wie etwas über sie gekommen war, beinahe als hätte sie sich jemand anderem unterworfen. Und als sie die Bucht in Brand gesetzt hatte – damals war sie ebenfalls zu jemand anderem geworden. Jedes Mal, wenn das Feuer in ihr brannte, war es, als ließe sie jemandes Macht durch sich hindurchfließen.
    Aber warum? Warum ich?
    Sie musste an ihre Mutter denken – die Frau, von der sie so lange geglaubt hatte, dass sie ihre Mutter war: Yvonne. Sie war Zoe immer mit einer gewissen Zurückhaltung gegenübergetreten, ja, beinahe Angst. Zoe erinnerte sich an einen Morgen, als sie noch klein gewesen und leise in das Schlafzimmer ihrer Eltern getapst war. Yvonne hatte auf dem Bauch geschlafen, die Lippen leicht geöffnet. Ihr dunkles Haar lag ausgebreitet auf dem blassgrünen Kissenbezug. Die blau-grüne Decke war um sie herum drapiert wie eine Wolke oder eine Welle. Zoe fand, sie sah aus wie ein schlafender Engel. Sie berührte ihre Mutter sanft am Arm, um sie aufzuwecken. Yvonne war hochgefahren – und saß senkrecht im Bett. Sie starrte Zoe aus aufgerissenen Augen an, als sei ihre Tochter direkt aus Yvonnes Albtraum herausgetreten.
    »Mama?«, fragte Zoe.
    Da fing Yvonne an, den Kopf zu schütteln, aber ihre Bewegungen hatten Johnny aufgeweckt, der verschlafen grinste. »Hey, Hasenschnute«, sagte er glücklich.
    Zoe ging ums Bett herum und ließ sich in seine Arme ziehen, während ihr Herz wie wild pochte, als wäre die Angst ihrer Mutter auf sie übergegangen wie eine Erkältung. Aber die warmen Arme ihres Vaters belebten sie wieder, und als er sie schließlich losließ, hatte sich Yvonne gefangen. Sie lächelte sogar, lachte und schlug Pfannkuchen zum Frühstück vor wie an einem ganz normalen Samstagmorgen.
    Zoe glaubte nicht, dass ihre Mutter die Wahrheit kannte – woher auch? Aber sie musste einen Verdacht gehabt haben. Was hatte Mafer gesagt? Wir wissen Dinge über andere. Vielleicht hatte Yvonne es gewusst, ohne sich dessen bewusst zu sein, und vielleicht war es das gewesen, was sie davon abgehalten hatte, Zoe so zu lieben wie eine richtige Mutter. So wie Zoe es sich immer gewünscht hatte.
    Da endlich kamen die Tränen, sie strömten ihr übers Gesicht und mischten sich mit den Regentropfen auf ihren Wangen. Sie nahm an, dass es Leute gab, die sich freuen würden, wenn sie von ihren fantastischen Fähigkeiten hörten. Sie konnte Angus schon witzeln hören: »Krass, du bist eine Superheldin!«
    Aber sie hatte nie darum gebeten, eine Superheldin zu sein. Und sie beschlich eine dunkle Vorahnung, dass ihr das Opfer abverlangen würde, die zu erbringen sie nicht bereit war.
    Ich will einfach nur Zoe sein, das ist alles.
    Ihre Kleider wurden ganz schwer vom Wasser, als sie den kleinen Hügel am Rande der Bucht hinaufkletterte. Die Sonne drang in dicken Strahlen durch die Wolkendecke und zerteilte das Grau mit buttrigem Gelb. Das Wasser war ruhig, aber voller Sprenkel wie eine alte Glasscheibe. In der Ferne schienen die Büsche oben auf den Klippen in dem trüben Licht ganz dunkel. Es war, als wäre sämtliche Farbe aus dem Bild gewichen, bis auf die Lichtsäulen, die auf das Wasser

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