Shelter Bay - 02 - Furienlied
hinabschienen.
In ihrem Rücken näherten sich Schritte.
Zoe hatte angenommen, dass Will ihr folgen würde, daher war sie überrascht, als sie Asias Stimme hörte: »Ich habe vermutet, dass du hierherkommen würdest.«
Zoe sah hinaus auf die glatte Wasseroberfläche und versuchte, sich auszumalen, wie sie brannte, versuchte, sich die qualvollen Schreie der Seekrieger vorzustellen, als sie litten und starben. »Ich will kein Henker sein«, sagte sie.
»Wir können uns nicht immer aussuchen, wer wir sind«, antwortete Asia. Ihre Stimme war ruhig, aber auch traurig.
Zoe drehte sich zu ihr um.
Asias grüne Augen hielten ihrem Blick stand und Zoe fragte sich, wie es wohl für sie war, eine Sirene zu sein. Auch wenn sie jetzt sterblich war, war sie doch noch lange kein Mensch. Hatte sie sich jemals gewünscht, sie wäre es?
Vielleicht nicht. Schließlich war sie nicht wie Zoe. Sie hatte nie geglaubt, etwas oder jemand Bestimmtes zu sein, und dann feststellen müssen, dass sie etwas ganz anderes war.
»Ich wurde in der Asche gefunden«, sprach Zoe das aus, was ihr gerade durch den Kopf geschossen war. »Meine Mutter ist bei einem Brand ums Leben gekommen.«
Asia sah hinaus zu den Säulen aus Licht. Sie waren so dick, dass es aussah, als stützten sie den Himmel. »Deine Mutter wurde von diesem Feuer verzehrt. Sie ist gestorben und wurde wiedergeboren. In dir.«
»Willst du damit sagen, dass ich keine Mutter habe? Oder – dass ich meine eigene Mutter bin?«
Asia zuckte mit den Schultern. »Tisiphone hat keinen Anfang und kein Ende. Zumindest ist mir keines bekannt. Sie – ihr – existiert länger als meine ganze Art.«
Zoe hatte das Gefühl, als würde das Bild, das für sie entworfen wurde, sich permanent bewegen und verändern, jedes Mal Gestalt und Bedeutung wechseln, je genauer sie hinsah. »Was ist mit mir – Zoe?«
Ihre Stimme klang in ihren Ohren dünn, beinahe weinerlich, und sie hasste es.
»Jede Inkarnation von Tisiphone ist anders«, erklärte Asia ihr. »Du bist du, und du bist sie. Deine Stärke liegt in euch beiden.« Asia berührte sachte Zoes Hand. »Du bist Zoe. Aber du bist zugleich auch eine Rachegöttin.«
»Nein«, flüsterte Zoe und schüttelte langsam den Kopf. »Das bin ich nicht.«
Asia nickte und sah wieder hinaus zu den Wolken. Der Regen hatte ganz aufgehört und die Wolken zerbrachen zu dicken Klumpen, zwischen denen kleine Stücke blauen Himmels hervorlugten. Während sie über den Himmel zogen, veränderten sie langsam die Gestalt, sodass ihre Ausmaße nicht auszumachen waren.
»Noch nicht. Nicht vollkommen«, stimmte Asia zu. »Du hast begonnen, dich in Tisiphone zu verwandeln. Aus dem Grund wollte Kalypso, dass ich dich ihr ausliefere, bevor du erwachst. Solange du noch schwach warst.«
Asia drehte den Kopf, als hörte sie etwas. »Will ruft nach dir«, sagte sie, einen Moment bevor Zoe den Schrei in der Ferne auch hörte. Sie vernahm ihn erneut, dann tauchte Will auf. Er rannte mit dem Handy in der Hand auf sie zu. Seine Haare waren inzwischen trocken, aber er war immer noch barfuß, woran Zoe erkannte, dass, was immer er ihnen sagen wollte, nichts Gutes sein konnte.
Ihr Herz fühlte sich an wie geschrumpft und das Blut stockte ihr in den Adern. Ich will es nicht hören, dachte sie, aber sie konnte ihn nicht aufhalten, konnte das, was er ihnen sagen würde, nicht ändern. Sie fühlte sich wie ein Stock, der von der starken Strömung eines Flusses mitgerissen wurde, unfähig, die Richtung zu ändern, gezwungen, einer Route zu folgen, die sich über die Jahrhunderte in den Felsen gegraben hatte, so beständig wie der Lauf der Zeit.
»Zoe!« Will rannte auf sie zu. »Ich hab gerade mit Angus telefoniert.« Er war außer Atem, sein Gesicht gerötet. Er sah wunderschön aus und vollkommen entsetzt. »Kirk ist dabei, durchzudrehen.«
»Was?«
»Er ist im Bella’s und flippt total aus. Er hat ein Messer und droht, sich umzubringen. Er will mit dir sprechen.« Wills Körper war angespannt; er sah aus, als wolle er jeden Moment flüchten.
Zoe klammerte sich an Asias Arm und die Seekriegerin legte ihr einen Arm um die Hüfte, um sie zu stützen. Beschämt musste Zoe feststellen, dass ihre erste Reaktion ein Gefühl von Wut war. Sie wollte Kirk nicht helfen. Sie hatte andere Probleme. Sie konnte sich jetzt wirklich nicht auch noch um Kirks Drama kümmern.
Aber er war im Bella ’s – mit einem Messer. Die Wut wich Schuldgefühlen. Es ist meine Schuld, dass er dort ist,
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