Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
mögen, wenn du nicht den Rat eines Freundes annimmst und sofort zu ihm gehst.«
Es ergab sich so, daß McMurdo an diesem Abend ein noch dringlicheres Gespräch hatte, das ihn in die gleiche Richtung drängte. Es kann sein, daß seine Aufmerksamkeiten Ettie gegenüber offenkundiger
geworden waren als zuvor oder daß diese allmählich auch seinem etwas langsamen deutschen Wirt
auffielen. Was auch immer der Grund war, der Besitzer des Gästehauses bat den jungen Mann in sein Privatkontor.
»Es scheint mir, Mister«, sagte er, »daß Sie ein Auge auf meine Ettie geworfen haben. Stimmt das, oder irre ich mich?«
»Ja, es stimmt«, antwortete der junge Mann.
»Na ja, dann wollte ich Ihnen bloß sagen, daß das keinen Zweck hat. Jemand anders ist Ihnen
zuvorgekommen.«
»Das hat sie mir auch erzählt.«
»Na, Sie dürfen glauben, daß sie Ihnen die Wahrheit gesagt hat. Hat sie Ihnen auch erzählt, wer es ist?«
»Nein, ich habe sie gefragt, aber sie wollte es mir nicht sagen.«
»Das dachte ich mir. Das kleine Ding! Vielleicht wollte sie Ihnen keine Angst machen!«
»Angst machen!« McMurdo fuhr hoch und sein Jähzorn flammte augenblicklich auf.
»Ach ja, mein Freund. Sie brauchen sich nicht zu schämen, wenn Sie Angst vor ihm haben. Es ist Teddy Baldwin.«
»Wer zum Teufel ist das?«
»Er ist der Anführer der Scowrer.«
»Scowrer! Von denen hab' ich doch schon gehört. Man hört von Scowrer hier und von Scowrer dort und immer im Flüsterton. Wovor habt ihr alle Angst? Wer sind die Scowrer?«
Der Besitzer des Gästehauses senkte unwillkürlich seine Stimme, wie es jedermann tat, wenn die Rede auf diese schreckliche Gesellschaft kam. »Die Scowrer«, sagte er, »sind die Bruderschaft der Freimaurer!«
Der junge Mann starrte ihn an. »Wieso, ich bin doch selbst Mitglied dieser Bruderschaft.«
»Sie! Ich würde Sie niemals in mein Haus aufgenommen haben, wenn ich das gewußt hätte, — auch
nicht, wenn Sie mir hundert Dollar pro Woche gezahlt hätten!«
»Was ist denn verkehrt an der Bruderschaft? Sie sind für Wohltätigkeit und Verbrüderung unter den Menschen. So steht es in den Statuten.«
»Das mag woanders auch so sein, hier nicht.«
»Um was geht es denn hier?«
»Eine Mordgesellschaft, das ist es.«
McMurdo lachte ungläubig. »Wie wollen Sie denn das beweisen?« fragte er.
»Beweisen? Sind nicht fünfzig Morde Beweis genug? Was ist mit Milman und Van Shorst? Und was mit
der Familie Nicholson und dem alten Mr. Hyam und dem kleinen Billy James und den anderen?
Beweisen! Gibt es einen einzigen Mann in diesem Tal oder eine einzige Frau, die es nicht wissen?«
»Hören Sie mal!« sagte McMurdo ernsthaft. »Ich möchte, daß Sie das zurücknehmen, was Sie eben
gesagt haben, oder es beweisen. Etwas müssen Sie tun, bevor ich das Zimmer verlasse. Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich komme als Fremder hierher in diese Stadt. Ich gehöre einer Bruderschaft an, von der ich weiß, daß sie in aller Unschuld den besten Absichten dient. Sie finden sie weit und breit in den Vereinigten Staaten, und nirgends ruht ein Makel auf ihr. Und jetzt, wo ich gerade vorhabe, mich dem hiesigen Zweig anzuschließen, kommen Sie und sagen mir, daß es eine Mordgesellschaft ist, die sich Scowrer nennt. Ich glaube, Sie müssen sich jetzt entweder entschuldigen oder mir wenigstens eine Erklärung geben, Mr. Shafter.«
»Ich kann nur wiederholen, was alle Welt weiß, Mister. Die Bosse der einen sind die Bosse der anderen.
Wenn Sie den einen beleidigen, kommt der andere und schlägt Sie. Das ist hier schon oft so gewesen.«
»Das ist einfach Klatsch. Ich will Beweise!« sagte McMurdo.
»Wenn Sie lange genug hier leben, werden Sie Ihre Beweise schon kriegen. Aber dabei vergesse ich, daß Sie selbst einer von ihnen sind. Sie werden bald auch nicht besser als die anderen sein. Jedenfalls werden Sie sich eine andere Unterkunft suchen müssen, Mister. Ich kann Sie nicht hierbehalten. Es ist schon schlimm genug, daß einer dieser Leute hierherkommt und meiner Ettie den Hof macht und ich es nicht wagen kann, ihn zurückzuweisen. Aber daß ich noch einen von ihnen hier haben sollte, der sich hier einlogiert? Nein, Sie werden auch nicht eine Nacht hier noch schlafen.«
McMurdo sah sich also aus seiner bequemen Unterkunft wie auch aus der Nähe des Mädchens, das er
liebte, vertrieben. An demselben Abend fand er sie allein im Wohnzimmer und schüttete ihr sein Herz aus.
»Sicher, Ihr Vater will mich hier heraushaben«,
Weitere Kostenlose Bücher