Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
weiß wohl, daß es harmlos ist, woanders ein
Freimaurer zu sein. Warum sollte ich deswegen schlecht von dir denken? Aber wenn du schon ein
Freimaurer bist, Jack, warum solltest du nicht hingehen und dich mit Boß McGinty anfreunden? Oh, geh schnell! Sei du der erste, oder die Hunde werden dir auf der Spur sein.«
»Das habe ich auch gerade gedacht«, sagte McMurdo. »Ich gehe jetzt und bringe die Sache in Ordnung.
Du kannst deinem Vater sagen, daß ich diese Nacht noch hier schlafe und mir morgen ein anderes
Quartier suche.«
Die Bar von McGintys Saloon war wie üblich voll, denn es war der beliebteste Tummelplatz aller
rauheren Elemente der Stadt. Der Mann war beliebt, denn er gab sich stets grob jovial, was bei ihm eine Maske war und viel von dem, was dahinterlag, verbarg. Aber abgesehen von dieser Beliebtheit war die Angst vor ihm, die man in der ganzen Stadt und bis hinter die Berge und in dem ganzen 30 km langen Tal empfand, Grund genug, um seine Bar zu füllen, denn niemand konnte es sich leisten, auf sein Wohlwollen zu verzichten.
Neben dieser geheimen Macht, die er, wie man allgemein annahm, mitleidlos ausübte, hatte er ein hohes offizielles Amt inne als Stadtrat und Beauftragter für den Straßenbau. In diese Ämter hatten ihn Schurken und Gauner gewählt, die dafür Hilfe von ihm erwarteten. Abgaben und Steuern waren enorm, die
öffentlichen Arbeiten wurden unbeschreiblich vernachlässigt, Abrechnungen wurden von bestochenen
Rechnungsprüfern gutgeheißen, und die anständigen Bürger wurden durch Terror dazu getrieben, sich öffentlich erpressen zu lassen und den Mund zu halten, damit ihnen nichts Schlimmeres passierte.
So ging es zu, Jahr für Jahr, und Boß McGintys Brillantnadeln wurden immer größer, die goldenen Ketten über seiner immer prächtigeren Weste immer gewichtiger, und seine Bar wurde immer länger und länger, bis sie fast die ganze Seite des Marktplatzes einzunehmen drohte.
McMurdo drückte die Schwingtür des Saloons auf und drängte sich durch die Menge der herumstehenden Männer. Die Luft war vom Tabaksqualm und Alkoholgeruch geschwängert. Der Raum war strahlend hell
erleuchtet, und die schwer vergoldeten Spiegel an der Wand warfen das Licht vielfach zurück. Mehrere Barkeeper in Hemdsärmeln standen hinter der Bar und waren sehr beschäftigt, Getränke für die Gäste zu mischen, die die breite, messingbeschlagene Theke umsäumten.
Am äußeren Ende der Bar lehnte, eine Zigarre steil im Munde, ein großer, starker, gewichtiger Mann, der niemand anders als der berüchtigte McGinty selbst sein konnte. Er war ein schwarzbärtiger Riese, bärtig bis zu den Wangenknochen und mit einer Mähne von rabenschwarzem Haar, das ihm auf den Kragen fiel, Seine Gesichtsfarbe war bräunlich wie die eines Italieners, und seine Augen waren von einem seltsam toten Schwarz, das ihm in Verbindung mit einem leichten Schielen ein besonders bösartiges Aussehen verlieh.
Alles andere an dem Mann, seine hochgewachsene Gestalt, seine angenehmen Gesichtszüge und seine
freimütige Haltung, paßten gut zusammen mit dem jovialen Mann-zu-Mann-Gehabe, das er an den Tag
legte. Seht hier, würde man sagen, ein gerader, ehrlicher Mann mit einem guten Herzen, wie grob auch immer seine Sprache sein mag. Nur wenn sich diese dunklen, toten Augen starr und gnadenlos auf jemand richteten, geschah es, daß der Betreffende zurückschreckte und das Gefühl hatte, etwas abgrundtief Böses zu erblicken, dem er Auge in Auge gegenüberstand, mit einer Stärke, einem Mut und einer
Verschlagenheit dahinter, die ihm unendliche Möglichkeiten gaben und ihn deshalb noch tausendmal
tödlicher machten.
Nachdem er sich diesen Mann gut angesehen hatte, bahnte sich McMurdo mit den Ellenbogen in seiner üblichen, sorglosen Art einen Weg durch die Menge und drängte sich durch die kleine Schar von
Höflingen, die sich um den großen Boß scharten und über seine kleinsten Witze markerschütternd
lachten. Die kühnen grauen Augen des jungen Fremden begegneten furchtlos durch die Brillengläser
hindurch dem tödlich-schwarzen Blick, der sich ihm zuwandte. Scharf wurde er gemustert.
»Na, junger Mann, ich kann mich nicht erinnern, Ihr Gesicht hier schon einmal gesehen zu haben.«
»Ich bin neu hier, Mr. McGinty.«
»Sie sind nicht so neu, daß Sie einen Gentleman nicht mit seinem richtigen Titel anreden können.«
»Mr. McGinty ist Councillor, Stadtrat, junger Mann«, sagte eine Stimme aus der Gruppe.
»Es tut mir
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