Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel

und verkündete: „Rohdiamanten, Watson, von unschätzbarem Wert, was die Experten in Hatton Garden bestätigten.“
    „Diamanten? Gute Güte, Holmes, wie umsichtig von Ihnen.“ Bescheiden wie er war, stimmte er mir zu. „Im Jahr 1866 fand ein fünfzehn Jahre alter Junge, Erasmus Jacobs, einen großen klaren durchsichtigen Stein auf der Farm seines Vaters nahe dem Orange River in Südafrika. Damit begann der Diamantenboom, der ein erstaunliches Ausmaß erreichte. Die Vorkommen in Afrika waren weitaus ergiebiger als die Diamantenvorkommen in Indien. Wir werden niemals erfahren, wie Simon und William während ihres Aufenthaltes dort in den Besitz dieser Steine kamen, aber ich vermute, dass sie die Steine außer Landes geschmuggelt haben, eingeflochten in Mrs Marsdens Schal – ein vorzüglicher Plan und ein sicheres Versteck.“ Ich erwiderte: „Nun denn, Bernhard und Pascal, um die Diamanten wissend, folgten den Männern also nach Island und versuchten herauszufinden, wo genau die Steine versteckt waren.“ Holmes schüttelte den Kopf. „Ich glaube, dass nur Bernhard es wusste, Watson. Ich vermute, dass sich Bernhard und William am Fluss trafen, in der Neujahrsnacht, und mit dem trügerischen Mut des Betrunkenen ergriff Bernhard die Gelegenheit und konfrontierte William mit seinem Wissen bezüglich der Diamanten. Die Dinge liefen aus dem Ruder und Bernhard wurde handgreiflich und stieß William, was letzten Endes zu seinem Tod führte.“
    „Und Simon?“
    „Bernhard folgte ihm einige Zeit in London, womöglich traf er ihn allein in der Bibliothek der Abtei – und obwohl Simon vielleicht das Geheimnis der Steine ausplauderte, hinderte das Bernhard nicht daran, ihm brutal das Leben zu nehmen. Gier und Gelegenheit, Watson, sogar ein Priester kann dieser Versuchung erliegen.“ Holmes und ich standen eine Weile schweigend da, starrten in den Raum, grübelten nachdenklich über die verwerflichen Fehler der Menschheit.

    Der richtige Schal wurde – natürlich! – noch am selben Tag sicher an Mrs Marsden zurückgegeben, und als sie die unglaubliche Wahrheit erfuhr, fiel sie beinahe in Ohnmacht. Bernhard gestand der Polizei alles, vielleicht hatten ihn die tief katholischen Wurzeln doch dazu bewogen, die Fehler seines Handels einzusehen. Pascal war äußerst schockiert von den Neuigkeiten und kehrte nach Frankreich zurück – als veränderter Mensch.
    Während wir uns am flackernden Kaminfeuer in der Baker Street wärmten, sprachen wir ein letztes Mal über die Ereignisse.
    „Watson? Würden Sie so freundlich sein und dieses kleine rötliche Felsstück von Simons Habseligkeiten untersuchen lassen? Es ist isländischen Ursprungs und ich glaube, Sie werden es äußerst interessant finden. Simon war dabei, etwas zu entdecken – ich glaube, dass dieses Stück Lehm Inhaltsstoffe enthält, die für den Schmelzprozess bei Aluminium unabdingbar sind. Das könnte eine durchaus wichtige Neuigkeit sein und von höchster Bedeutung für die weitere ökonomische Entwicklung Islands, finden Sie nicht auch?“ Er zog ein Stück Lehm aus dem persischen Hausschuh, der ihm als Tabakbeutel diente, und händigte ihn mir triumphierend aus. Erneut war ich beeindruckt und verwundert von der unglaublichen Voraussicht und Eingebung meines Freundes.
    Eine Sache jedoch geht mir seit diesem Tag nicht mehr aus dem Kopf, und ich besitze weder die Unverfrorenheit noch die Dreistigkeit, Holmes damit zu behelligen: Als er den exotischen Tabakbeutel schloss, da – ich könnte es schwören – erblickte ich kurz einen Schimmer von durchsichtigem Stein inmitten der schwarzen Blätter des gewürzten Tabaks.

 

Sören Prescher
    Sören Prescher wurde am 9. August 1978 in Bautzen geboren. Neben seiner Arbeit für ein internationales Wirtschaftsunternehmen schreibt er Artikel und Berichte für das Nürnberger Musik- und Kulturmagazin RCN. Seit 1995 verfasst er kürzere und längere Geschichten, seit 1996 auch Gedichte. Im Sommer 2010 erschien sein dritter Roman Der Fall Nemesis bei Voodoo-Press.
    In den letzten Jahren wurden etliche seiner Gedichte und Kurzgeschichten in Zeitungen und Magazinen abgedruckt – z.B. in der John Sinclair Sammler Edition , Band 136, Bastei-Verlag, der Edgar Allan Poe-Anthologie Jenseits des Hauses Usher , Blitz, der Arkham – Ein Reiseführer -Anthologie (H.P.Lovecraft-Tribut), Basilisk-Verlag, der Rose Noire -Anthologie, Voodoo Press und in der Advocatus Diaboli -Anthologie, Edition Roter Drache.
    Sein Roman Der