Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
noch spitzer als die meines Freundes, erwartete uns. „Dieser Blakely ist an allem Schuld. Hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Womöglich mit dem Teufel selbst. Wo er steckt, kann ich Ihnen nicht sagen.
Hoffentlich in der Hölle, wo er hingehört.“
„Eine beschauliche Alte“, befand ich, als wir uns die andere Straßenseite vornahmen. Ein humpelnder Mann mit Armschiene schlug uns die Tür gleich wieder vor der Nase zu und ein Rentnerehepaar wimmelte uns mit der Begründung ab, sie hätten weder was vom Gesuchten noch den Todesfällen mitbekommen. Beim dritten Anlauf musterte uns eine Frau mit Kopftuch mit strenger Miene. „Natürlich kenne ich ihn. Hat mir geholfen, als mein Mann mit Fieber im Bett lag, und ich dringend nach Durham musste. Eine Zeitlang schien er zufrieden mit sich und der Welt zu sein, in den letzten Wochen hat Samuel jedoch kaum ein Wort mehr herausgebracht. Er schien Probleme zu haben, wehrte aber jede Unterhaltung darüber ab.“
„Könnte es mit den merkwürdigen Todesfällen zusammenhängen?“, hakte ich nach. Ich wusste, dass Holmes diese Frage auf den Lippen lag und freute mich, ihm zuvorgekommen zu sein.
Die Frau senkte den Kopf. „Ich hoffe es nicht. Aber es ist seltsam, dass es allesamt Menschen aus seinem Umfeld waren. Zuerst sein alter Vater, der oben in der Claremont Street aus dem Fenster gefallen ist. Dann wurde sein Bruder Winfred von der Kutsche überrollt.
Und das am helllichten Tag, mitten auf der Hauptstraße. Sein Freund Vincent hat sich eines Abends das Genick gebrochen, als er nach einem Besuch im Wirtshaus auf dem Heimweg war. Vorgestern hat es seine alte Tante erwischt. Das halbe Dach kam runter, als sie auf ihrem Rasen die Wäsche aufhängen wollte.“
„Wo genau war das?“
„In der Lexington Street, oben am Stadtende. Wenn Sie mich fragen, waren dies alles Unfälle, für die Samuel überhaupt nichts kann.
Aber ich verstehe, dass manche Leute das anders sehen. Thorleywood ist nicht besonders groß. Jeder kennt jeden. Da erscheint es schon merkwürdig, wenn einer morgens nicht wie gewohnt zur Arbeit geht.“
„Haben Sie eine Ahnung, wo sich Samuel Blakely derzeit aufhalten könnte?“, fragte Holmes.
„Leider nicht. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.“ Wir dankten der Frau für die Auskünfte und kehrten zur Straße zurück. Mein Freund schien Ausschau nach einer Kutsche zu halten.
Gleichzeitig zeigte sein kantiges Gesicht einige Sorgenfalten. „Vermutlich ist ihm die Luft zu dünn geworden und er hat Fersengeld gegeben“, überlegte ich.
Holmes schüttelte den Kopf. „Unwahrscheinlich, Watson. Entweder ist er auf der Flucht vor der Polizei, oder er befindet sich bereits in Gewahrsam. Polizisten neigen in der Regel nicht zu expliziten Ermittlungen, wenn die Faktenlage ihrer Ansicht nach eindeutig ist. Besonders Beamte in kleinen Ortschaften wie dieser hier.“
„Dann ist unsere nächste Adresse die Polizeistation?“
„Nicht ganz. Bevor wir dorthin gehen, sollten wir uns einige Tatorte anschauen, um ein besseres Bild zu bekommen.“
Die Claremont Street befand sich nur drei Querstraßen entfernt. Eine in Ansätzen vorhandene Polizei-Absperrung wies uns den Weg zum Haus von Samuel Blakelys Vaters. Es war ein altes Fachwerkhaus mit vorstehendem Obergeschoss und marode aussehender Holzumrandung. Auf dem Rasen davor lagen mehrere Blumensträuße, dazu eine im Glas brennende Kerze. Holmes stellte sich neben die Trauerbekundungen und inspizierte das Fenster, von dem Blakely Senior abgestürzt war. Anschließend klopfte er dreimal hartnäckig an der Vordertür. Als niemand erschien, versuchte er eines der Fenster auf der Gebäuderückseite zu öffnen. Trotz meiner Warnung, dass solche Dinge in einer Kleinstadt wie Thorleywood nicht ungesehen blieben, befanden wir uns nur wenig später im Hausinneren. Die Untersuchung des Obergeschosses zauberte jedoch bloß Ratlosigkeit in den Gesichtsausdruck meines Freundes, so dass wir uns nach wenigen Minuten auf dem Weg zum nächsten Tatort befanden. Abgesehen von zwei leeren Medizinfläschchen fanden wir nichts Auffälliges.
Die Suche nach dem Wirtshaus stellte sich als recht einfach heraus – es gab nur eines. Davor trafen wir einen verschwitzten Enddreißiger, der den Toten gut gekannt hatte. „Was für eine Tragödie! Ich hab mit ihm zusammen gebechert, nur wenige Stunden vor seinem Tod, als draußen dieser Wolkenguss war. Möchte wissen, wer ihm in der Gasse aufgelauert hat! Das
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