Sherlock Holmes - Das ungelöste Rätsel
wartete geduldig, bis ein Polizeibeamter mich von meinen Pflichten erlöste. Es war bereits später Abend, als ich nach Hause ging und ein beißender Wind durch die eisigen Straßen der Stadt wehte. Ich stellte mir vor, auf diesem Weg durch die gefrorene und verbotene isländische Landschaft zu wandern und über die Brücke über den blutigen Wassern des Öxará zu gehen, anstatt die dunklen Fluten der Themse unter mir zu spüren.
Meine liebende Frau war sehr erfreut und erleichtert, mich wohlbehalten wiederzusehen. Sie wusste, dass sie mir keine unangenehmen Fragen stellen durfte – immerhin war dies nicht das erste Mal, dass ich in vertrauliche Fälle des berühmten Sherlock Holmes eingebunden war.
Holmes gab den Schal am nächsten Morgen persönlich in Mrs Marsdens Residenz in der Elgin Avenue zurück und bat sie, den Schal am Donnerstag deutlich sichtbar für alle zu tragen, so dass jeder Trauergast auf dem Friedhof ihn zu sehen vermochte.
„Warum, in aller Welt, soll sie das tun, Holmes? Glauben Sie, dass es Ihnen helfen wird, Simons Mörder zu finden?“
„In der Tat, Watson, Sie kennen mich nur zu gut. Ich glaube fest daran, dass wir den Täter an eben jenem Tag entlarven werden.“ Das war alles, mehr gab Holmes nicht preis.
Die Begräbniszeremonie verlief ruhig. Viele der Trauergäste hatten sich versammelt, um dem Verblichenen ihr letztes Geleit zu gewähren. Die kleine Kirche in Wimbledon quoll über. Viele kirchliche Würdenträger von Rang und Namen beehrten das Begräbnis mit ihrer Anwesenheit. Religiöse Vertreter aus Südafrika und Indien, die zufälligerweise zum Zeitpunkt seines Todes im Land weilten, standen unbehaglich am Ende des Kirchenschiffs – in der Nähe der beiden französischen Katholiken, Bernhard und Pascal. Das Begräbnismahl fand im nahen Gästehaus statt, eingedenk der vielen Gäste, die gekommen waren, konnte Mrs Marsden nicht alle von ihnen in ihrem bescheidenen Quartier unterbringen.
Holmes beobachtete alles aus einer Ecke des überfüllten, rauchigen Raums, während er eine Tasse heißen Tee trank. Seinen Augen entging nichts.
„Nun, lieber Watson, haben Sie Obacht, unsere kleine Mausefalle wird gleich zuschnappen.“
Ich wartete gespannt auf das, was laut Holmes gleich geschehen würde.
Mrs Marsdens Blick streifte die große Uhr über dem Kamin, die gerade drei geschlagen hatte, und gab Holmes ein Zeichen, das dieser kopfnickend zur Kenntnis nahm.
Mrs Marsden beendete das Händeschütteln in der Schlange mitfühlender Fremder und entschuldigte sich höflich für einen Augenblick, in dem sie sich erfrischen und von den aufwühlenden Ereignissen des Tages ein wenig zurückziehen wollte. Sie verließ das Zimmer, ließ die Tür leicht geöffnet, und bevor sie die Stufen zu den oberen Räumen erklomm, streifte sie ihren Schal ab und drapierte ihn über dem Geländerpfosten.
„Nun, Watson, der Mörder wird sich jeden Moment zu erkennen geben.“
In diesem Augenblick stellte Bernhard spontan seine Teetasse auf dem verzierten Tisch neben dem Fenster ab, bahnte sich mit distanzierter Miene seinen Weg durch die Versammlung der Trauergäste und schlüpfte schließlich in die Halle. Holmes und ich eilten ihm hinterher. Als wir durch den Türspalt spähten, hielt Bernhard für einen Sekundenbruchteil inne und ergriff dann die Gelegenheit, schnappte sich den Schal von dem Geländerpfosten und stopfte ihn in seine Schultermappe. Er eilte durch den Haupteingang, doch zwei Polizeibeamte blockierten den Ausgang und geleiteten ihn ohne weiteres Aufhebens zum Polizeirevier.
Mit einem zufriedenen Grinsen kehrte Holmes in seine Ecke zurück und entzündete seine Pfeife.
„Was hat das alles zu bedeuten, Holmes? Warum hat Bernhard versucht, Mrs Marsdens Schal zu stehlen?“
„Kaum mehr als ein Duplikat des Originals, Watson, meisterhaft angefertigt von einer Schneiderin in Covent Garden.“
„Bemerkenswert, Holmes, aber warum? Wie kommen Sie zu der Annahme, dass er Simons Mörder ist?“
„Nicht nur Simons Mörder, sondern auch der Mörder William Heathleys, mein lieber Watson.“
„Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann, Holmes!“
„Während unserer ersten Begegnung mit Mrs Marsden in dem Salon in der Baker Street wurde meine Aufmerksamkeit augenblicklich auf den Schal gelenkt, den sie trug – zweifelsohne war er afrikanischen Ursprungs. Doch meine Neugierde weckten die Steine und Perlen, die in den feinen Seidenstoff eingearbeitet waren.“ Er sah mich an
Weitere Kostenlose Bücher