Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
diesem Fall zusammenarbeitet. Wenn sie schon wagen, mich zusammenzuschlagen, dann lassen sie sie ganz bestimmt nicht aus. Das ist wichtig. Erledigen Sie das heute Abend noch.«
»Ich werde gehen. Noch etwas?«
»Legen Sie mir die Pfeife auf den Tisch und den Pantoffel mit dem Tabak. Richtig! Kommen Sie jeden Morgen vorbei, wir wollen zusammen die Kampagne planen. «
Ich arrangierte noch am gleichen Abend mit Johnson, Miß Winter an einem ruhigen Platz au-
ßerhalb Londons unterzubringen. Sie sollte sich ruhig verhalten, bis die Gefahr vorüber war.
Sechs Tage lang hielten wir das Publikum unter dem Eindruck, daß Holmes sich an der Pfo rte des Todes befand. Die Schlagzeilen der Zeitungen waren ernst und voll von finsteren Berichten, die auf nichts Gutes hoffen ließen. Meine konstanten Besuche in der Baker Street versicherten mir jedoch, daß es so schlimm nicht um ihn stand.
Seine drahtige Konstitution und sein eiserner Wille wirkten Wunder. Er erholte sich schnell.
Manchmal hatte ich den Verdacht, daß er sich schneller erholte, als er sogar mir gegenüber, zugab. Er hatte eine seltsame geheimnisvolle Art, die zu manchem dramatischen Effekt führen konnte und seine nächsten Freunde raten ließ, was wohl sein nächster Schritt sein würde.
Er trieb das Sprichwort ins äußerste Extrem, daß nur die gute Planer sind, die alleine planen.
Ich war ihm näher, als irgendein; anderer Mensch, und doch war ich mir der Kluft zwischen ihm und mir ständig bewußt.
Am siebenten Tag wurden die Fäden gezogen. Trotzdem gab es einen Zeitungsbericht von einer Wundrose in den Abendzeitungen. Die gleichen Abendzeitungen brachten eine Mittei-lung, die ich unbedingt meinem Freund überbringen mußte. Es handelte sich um die schlichte Nachricht, daß unter den Passagieren auf dem Cunard Schiff, das am Freitag von Liverpool abging, sich auch Baron Adalbert Gruner befand, der in den Vereinigten Staaten wichtige Fi-nanzangelegenheiten vor seiner Heirat mit Miß Violet de Merville, einzige Tochter von ...
usw., usw., zu regeln hatte. Holmes hörte sich diese Nachricht mit einem kalten, konzentrie rten Ausdruck auf dem blassen Gesicht an. Mir war klar, daß ihn diese Nachricht hart traf.
»Freitag!« rief er. »Nur noch drei Tage. Ich glaube, der Schurke möchte sich selber gerne aus der Gefahrenzone herausbringen. Aber das wird er nicht, Watson! Beim Allmächtigen, das wird er nicht! Watson, jetzt müssen Sie etwas für mich tun! «
»Ich bin hier zu Ihren Diensten, Holmes.«
»Gut, dann verbringen Sie die nächsten vierundzwanzig Stunden damit, sich intensiv mit chinesischem Porzellan zu befassen.«
Er gab mir weiter keine Erklärung, und ich bat um keine. Die lange Erfahrung hat mich die Weisheit des Gehorchens gelehrt. Aber als ich seine Wohnung in der Baker Street verlassen hatte, fragte ich mich doch, wie ich denn diesen seltsamen Befehl ausführen sollte. Schließ-
lich fuhr ich hinunter zur Londoner Bibliothek am St. James Square und wandte mich an me inen Freund Lomax, den Hauptbibliothekar, dann kehrte ich mit einem dicken Buch unter dem Arm in meine Wohnung zurück.
Ich dachte dabei an einen guten Advokaten. Für seinen Fall am Montag muß er so gut info rmiert sein, daß er einen Experten vernehmen kann. Aber noch bevor die Woche herum ist, hat der Advokat alles wieder verge ssen. Ich glaubte selber nicht daran, daß jemand mir den Kenner alten, chinesischen Porzellanes glauben würde. Trotzdem arbeitete ich vom Abend bis zum nächsten Mittag an dem Buch. Ich gönnte mir nur eine kurze Ruhepause, sog Wissen in mich hinein und memorierte Namen und Begriffe. Ich lernte die Güte- und Markenzeichen der Künstler alter Porzellanmalerei kennen, das Geheimnis der zyklischen Daten, die Zeichen der Hung-wu und die Schönheiten der Yong- lo, die Schrift der Tang-ying, und die gloriosen Zeiten der primitiven Perioden der Sung-Zeit und der Yuan. Mit diesem neuen Wissen ausgerüstet, erschien ich am nächsten Morgen bei Holmes. Er hatte das Bett inzwischen verlassen.
Niemand, der die Zeitungsberichte las und ihnen glaubte, würde das je angeno mmen haben.
Er saß tief in seinen Lieblingssessel gekuschelt und hatte seinen starkbandagierten Kopf in die Hände gestützt.
»Aber Holmes«, sagte ich, »die Zeitungen berichten, daß Sie kurz vor dem Sterben sind. «
»Das«, sagte er, »ist der Eindruck, den ich gerne vermitteln möchte. Aber nun zu Ihnen, Watson, haben Sie Ihre Lektion gelernt?«
»Na, wenigstens habe ich
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