Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Watson. Sagt Ihnen das nichts?
«
»Nichts, als daß er es aus purer Böswilligkeit tut.«
»Gut, dem mag so sein. Oder- nun, es gäbe noch eine Alterna-tive. Wir wollen weiterhin die Situation vom Zeitpunkt des Streites an betrachten, wenn es einen Streit gegeben hat. Die Dame bleibt in ihrem Zimmer und ändert ihre Gewohnheiten. Sie wird nicht mehr gesehen, es sei denn, sie fährt zusammen mit ihrer Zofe aus. Sie hält nic ht mehr bei den Ställen und be-grüßt auch ihr Lieblingspferd nicht mehr. Dann fängt sie scheinbar zu trinken an. Das paßt alles zusammen, nicht wahr?«
»Ausgenommen der Geschichte mit der Krypta.«
»Das ist eine andere Gedankenlinie. Es gibt zwei und bitte, verwechseln Sie die beiden nicht.
Die Linie A, die mit Lady Beatrice zu tun hat, hört sich hintergründig und bösartig an, finden Sie nicht?«
»Mir sagt das alles nichts.«
»Gut, sehen wir uns Linie B an, die mit Sir Robert zu tun hat. Ihm liegt wahnsinnig daran, beim Derby zu gewinnen. Geldver- leiher haben ihn in den Händen, die ihm jeden Augenblick seinen Reitstall verkaufen können, um die Gläubiger zu befriedigen. Er ist ein Mann, der viel riskiert und dem das Wasser bis zum Hals steht. Er bezieht ein Einkommen von seiner Schwester. Die Zofe der Schwester ist ein williges Werkzeug. So weit bewegen wir uns auf sicherem Grund, finden Sie nicht?«
»Aber die Krypta. «
»Ach ja, die Krypta! Watson, wollen wir einmal annehmen-es ist nur eine Annahme, eine Hypothese, die wir um der Diskussion willen einsetzen -, wollen wir einmal annehmen, daß Sir Robert seine Schwester umgebracht hat.«
»Aber mein lieber Holmes, das kommt doch gar nicht in Frage. «
»Das ist sehr gut möglich, Watson. Sir Robert kommt aus einer guten, angesehenen Familie.
Aber manchmal findet man den Habicht mitten unter den Tauben. Lassen Sie uns diese Annahme einen Augenblick diskutieren. Er würde doch nicht so fluchtartig fortreisen, bevor er seinen Gewinn nicht unter Dach und Fach gebracht hat und das allein kann ihm ein Coup mit Shoscombe Prince bringen. Er muß sich also etwas ausdenken. So überlegt er sich, wie er die Leiche loswerden kann und wer an die Stelle des Opfers treten kann. Wenn die Zofe mit-macht, kann das nicht unmöglich sein. Die Leiche der Frau kann in der Krypta begraben werden, denn dort sucht sie so schnell keiner oder sie kann heimlich verbrannt werden, in der Nacht im Heizungsofen, und da gibt es ja Hinweise, wie wir bereits gesehen haben. Was sagen Sie dazu, Watson?«
»Das ist alles möglich, wenn Sie an der monströsen Annahme festhalten.«
»Ich glaube, ich habe mir ein kleines Experiment ausgedacht, das wir morgen ausprobieren wollen, Watson. Malsehen, ob das nicht Licht in die Sache bringt. Inzwischen sollten wir hier aber unser Spiel weiterspielen, unseren Wirt um ein Glas selbst-gemachten Weines bitten und uns über Aale und Forellen unterhalten, denn das scheint die gerade Straße zu seinem Herzen zu sein. Wenn wir Glück haben, hören wir bei der Gelegenheit einigen guten Dorfklatsch.«
Am nächsten Morgen entdeckte Holmes, daß wir ohne einen bestimmten Köder herunter gekommen waren. Und so konnten wir an diesem Tag nicht angeln. Um elf Uhr herum begaben wir uns auf einen Spaziergang, und er erbat sich die Erlaubnis, den Spaniel mitnehmen zu dürfen.
»Dies ist das Gut«, sagte er, als wir an zwei hohe Eingangstore kamen, die von zwei Riesen-vögeln bewacht wurden. »Mr. Barnes hat uns wissen lassen, daß die alte Dame um die Mittagszeit ihre Ausfahrt macht. Die Kutsche muß langsamer fahren, während das große Tor ge-
öffnet wird. Wenn der Wagen langsamer wird und bevor er dann wieder richtig in Fahrt kommt, möchte ich, daß Sie, Watson, den Kutscher mit ein paar Fragen aufhalten. Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich werde hinter diesen Büschen stehe n und versuchen, soviel wie möglich zu sehen. «
Lange hatten wir nicht zu warten. Eine Viertelstunde später sahen wir die große altmodische Kutsche die lange Chaussee herunterkommen. Zwei herrliche Pferde waren im Geschirr.
Holmes verkroch sich mit dem Hund ins Gebüsch. Ich stand ohne Arg am Weg und schwang meinen Stock. Ein Pförtner sprang heraus und öffnete das schwere Tor.
Die Pferde gingen nun im Schritt, und ich konnte die Insassen der Kutsche gut sehen. Eine junge Frau mit blonden Haaren, grellen Farben und unzüchtigen Augen saß zur Linken. Zu ihrer Rechten saß eine ältere Person mit einem gerundeten Rücken, die in einen großen
Weitere Kostenlose Bücher