Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Gut, Mr. Holmes, wir lassen Sie wissen, wie wir voran kommen, mehr können wir im Augenblick nicht tun. Ich denke, in ein oder zwei Tagen werden Sie von uns hören.« Mit dieser Versicherung verbeugte sich der Amerikaner und verließ uns.
Holmes zündete seine Pfeife an. Eine Weile saß er ruhig und mit einem komischen kleinen Lächeln auf dem Gesicht da. »Nun?« fragte ich ihn schließlich.
»Ich wundere mich, Watson. Ich wundere mich einfach ... «
»Worüber denn?«
Holmes nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Ich wundere mich, Watson, was diesen Mann eigentlich veranlaßt, uns diesen Packen Lügen aufzutischen. Ich hätte ihn das am liebsten gefragt, denn es gibt Zeiten, wo ein brutaler Fron-talangriff die beste Politik ist, aber dann hielt ich es doch für besser, ihn glauben zu lassen, daß er uns zum Narren gehalten hat. Er ist ein Mann, der einen englischen Anzug trägt, dessen Ärmel ausfransen und von dem die Knie ausgebeult sind. Den hat er also mindestens ein Jahr lang getragen, und doch sagt dieses Papier und er selber aus, daß er aus der amerikanischen Provinz kommt und erst neuerdings in London gelandet ist. Es gab keine derartige Anzeige in den Kummerspalten der Zeitungen. Sie wissen, daß ich nichts derlgeichen übersehe. Sie ge-hört zu meiner Lieblingslektüre. Etwas so Komisches wäre mir gewiß aufgefallen. Außerdem kenne ich keinen Dr. Lysander Starr aus Topeka. Betrachten Sie ihn, wie Sie wollen, falsch war er auf jeden Fall. Ich glaube, der Mann ist zwar wirklich Amerikaner, aber er spricht, als lebe er schon zeimlich lange in London. Was treibt er für ein Spiel? Und was steckt hinter seiner Garridebsuche? Es lohnt sich gewiß, wenn wir uns um ihn kümmern. Wir können ve rmutlich davon ausgehen, daß er ein Gauner ist. Aber er ist ein ganz gerissener, der seine eigene Masche drauf hat ... Wir müssen herausfinden, ob der andere auch so ein Gauner ist. Gehen Sie ans Telefon, und rufen Sie ihn einfach mal an, Watson.«
Das tat ich und hörte eine dünne, zittrige Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Ja, ja, ich bin Mr. Nathan Garrideb. Ist Mr. Holmes dort? Ich würde gerne ein paar Worte mit Mr. Holmes sprechen.« Mein Freund übernahm das Telefon, und ich hörte, wie üblich, nur den einen Teil des Dialoges.
»Ja, er ist hier gewesen. Wenn ich recht unterrichtet bin, kennen Sie ihn gar nicht ... Wie lang? ... Erst zwei Tage! ... Ja, ja, natürlich. Das sind ja wirklich kapitale Aussichten. Werden Sie heute Abend zu Hause sein? Darf ich annehmen, daß Ihr Namensvetter nicht da sein wird?
... Sehr gut, wir werden dann kommen, denn ich möchte lieber mit Ihnen alleine reden ... Dr.
Watson wird mich begleiten. Sie haben mir geschrieben, daß Sie nicht oft ausgehen ... Gut, sagen wir um sechs. Sie brauchen das dem amerikanischen Anwalt gegenüber nicht erwähnen... Sehr gut. Wiedersehen!«
Es war ein herrlicher Frühlingsabend und es dämmerte schon Selbst die Little Ryder Street, eine der kleineren Nebenstraßen von Edgware Road, einen Steinwurf weit vom alten Tyburn Galgen entfernt, sah im Licht der sinkenden Sonne wunderschön und vergoldet aus. Das Haus, auf das wir zugingen, war ein großes, altmodisches Gebäude der frühen georgianischen Zeit. Die öde Backsteinfront wurde nur aufgelockert durch zwei Bogenfenster im unteren Stockwerk. Hier lebte unser Klient, und diese Fenstergehörten zu einem riesigen Zimmer, in dem er seine wachen Stunden verbrachte. Holmes wies im Vorübergehen auf das kleine Mes-singschild hin, das den seltsamen Name n trug.
»Auch nicht gerade neu, Watson«, bemerkte er und zeigte auf die verfärbte Oberfläche. »Jedenfalls ist das sein richtiger Name, und das ist etwas, was wir uns zunächst einmal merken müssen.«
Das Haus hatte eine gemeinsame Treppe. Eine Reihe von Name n waren in der Halle angebracht, einige wiesen auf Büros hin, andere auf Privaträume. Es schien sich nicht um normale Mietwohnungen zu handeln, sondern um eine Art Boheme von Junggesellen. Unser Klient öffnete selber die Tür und entschuldigte sich, daß die Aufwartefrau ihn um vier Uhr verlassen habe. Mr. Nathan Garrideb war ein sehr großer Mann mit gerundetem Rücken, dünn, glatz-köpfig und um die sechzig Jahre alt. Er hatte ein totenbleiches Gesicht mit der leblosen Haut eines Mannes, für den Bewegung in frischer Luft nicht zu existieren schien. Große runde Brillengläser und ein kleiner, vorstehender Ziegenbart gaben ihm zusammen mit der gebückten Haltung den Ausdruck
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